Da hielt also die Klimajugend den Bundesplatz besetzt. Und aus dem Bundeshaus strömten Parlamentarier der Schweizerischen Volkspartei, um die Klimajugend darüber zu belehren, was «Recht und Ordnung ist», wie SVP-Rechtsaussen Andreas Glarner dem unbotmässigen Jungvolk herrisch verkündete.
Im Bundeshaus selbst war die SVP gerade dabei, ihrem Mitglied Yves Donzallaz die erneute Wahl zum Bundesrichter zu verweigern: Er habe Recht gesprochen, ohne sich um die Parteiideologie zu scheren – also gemäss jener Unabhängigkeit, welche die Bundesverfassung für Bundesrichter vorschreibt.
Eine paradoxe politische Performance: Parlamentarier, die den Rechtsstaat verletzen, indem sie die Gewaltenteilung verachten, beschimpfen Jugendliche, die das Recht verletzen, indem sie den Bundesplatz besetzen.
Böcke aus dem Ratssaal spielen Gärtner auf der Strasse.
Der wunderliche Anblick ist allerdings keineswegs verwunderlich: Die SVP wusste schon immer, dass sie besser als alle andern weiss, was Recht und Ordnung ist.
Dabei stiessen die patriotischen Besserwisser vor dem Bundeshaus auf globale Besserwisser.
Die Klimajugend nämlich weiss alles besser, was Unrecht und Unordnung von Welt und Umwelt betrifft: «Dieses System hat es nicht geschafft, eine Antwort auf die Klimakrise zu liefern.»
Was meint die Klimajugend mit «dieses System»?
Sie meint die politische Struktur der freien Gesellschaft: die Demokratie. Und sie meint die juristische Struktur zum Schutz dieser Demokratie: den Rechtsstaat.
In herrischem Ton liessen die Demonstranten die Demokraten wissen: «Wir besetzen heute den Bundesplatz, aus Angst vor den Folgen der Klimakrise und weil wir die Untätigkeit der Mächtigen in Politik und Wirtschaft nicht mehr weiter akzeptieren.»
Was ist gemeint mit «nicht mehr weiter akzeptieren»?
Selbstermächtigung ist gemeint: die Verwirklichung ihrer Forderungen durch kollektiven Gesetzesbruch anstelle des demokratischen «Systems» – habe sich dieses doch auf eklatante Weise als unfähig erwiesen, die Klimawahrheit der Klimajugend subito in politisches Handeln umzusetzen.
Wer sind diese Demonstranten? Der Protestforscher Philip Balsiger trifft dazu im Zürcher «Tages-Anzeiger» eine aufschlussreiche Feststellung: «Lehrlinge gibt es in der Klimabewegung kaum.»
Ex-Klimademonstrant Clemens Traub kommentiert im BLICK die Maxime der Ikonen der Bewegung Greta Thunberg und Luisa Neubauer, man könne «das Klima nur retten, wenn man das System komplett überwindet», mit folgenden Worten: «Das sind beides Frauen, die extrem vom System profitieren. Für Leute mit vielen Alltagssorgen klingt das nicht nur lebensfremd, sondern sogar höhnisch.»
Ja, es ist nicht anders als einst mit den finster entschlossenen Genossen der 68er-Bewegung, auch nicht anders als mit den popkulturell erregten Wutkindern der 80er-Tumulte: zuhauf höhere Söhne und Töchter – während sie Rabatz machten, mussten die weniger gut situierten Altersgenossen als Lehrlinge zur Arbeit.
Heute sind die Rebellen von gestern Väter oder Grossväter der Fridays-for-Future-Generation.
Aber spricht denn der Umstand, dass sich Demos und Protestcamps anmuten wie Catwalks für wohlsituierte Jungbürger, die in hippen Sneakers aus Gymi und Uni herbeiströmen, gegen die Berechtigung ihrer Forderungen? Überhaupt nicht: Die drohende Klimakatastrophe ist das drängendste Problem dieser Zeit – seine Lösung darf in keine künftige Zeit verschoben werden.
Deshalb ist das Problem der Erderwärmung auch das drängendste Problem der Demokratie – des freiheitlichen Systems, das die Klimakinder für ihre Aktivitäten zu Recht weidlich nutzen – und zu Unrecht schmähen.
Klimakinder aus wohltemperiertem Kinderzimmerklima.