Frank A. Meyer – die Kolumne
Grünsinn

Publiziert: 01.12.2019 um 12:19 Uhr
Frank A. Meyer

Mit einer alarmierenden Zeile enthüllt die «SonntagsZeitung» den Skandal der Woche: «Es geht FDP, SVP und CVP einzig um den Machterhalt.» Ist Schlimmeres denkbar in einer Demokratie?

Worum geht es in der Po­litik? Um Macht. Wozu Macht? Um etwas zu machen. Zum Beispiel im Sinne von FDP, SVP oder CVP. Und wenn man bereits über Macht verfügt, dann kämpft man darum, sie zu bewahren, im Sinne des Macht­erhalts.

In der Demokratie ist Macht geliehen, bis zur Abwahl der gerade Mächtigen. In der direkten Schweizer Demokratie sogar nur bis zur Korrektur durch Volksentscheide.

Also machen FDP, SVP und CVP genau das, was die Verfassung vorsieht: Machtpolitik auf Basis der jüngsten Wahlresultate.

Aber haben nicht die Grünen diese Wahlen gerade fulminant gewonnen? Richtig. Bravo! Ist es deshalb Zeit für einen Linksrutsch in der Regierung?

Die Stimmung scheint ganz danach. Es war ja auch eine Stimmungswahl wie selten: Klimakatastrophe gleich Klimapolitik gleich Grüne. Höher konnte der moralische Anspruch an die Wähler kaum sein. Sie wählten deshalb wacker die Bewegung, die in der Schweiz wie weitherum in Europa die Weltrettung verspricht.

Und so eine Partei soll jetzt nicht in die Landesregierung dürfen?

Es wäre doch alles so einfach und gerecht: Der Freisinn, grosser Verlierer der Wahlen, nur noch ein Schatten seiner einst Schatten werfenden Macht, braucht bloss auf einen Sitz zu ver­zichten – auf den des Tessiners Ignazio Cassis.

Was bedeutet angesichts der Apoka­lypse der Anspruch des Tessins? Die italienischsprachige Schweiz gegen die Rettung des Planeten? Und erst noch Ignazio Cassis! Hat er nicht die Diplomatie der Politik untergeordnet? Aussenpolitik statt Diplomaten-Mief? Rahmenabkommen statt Botschafter-Palaver? So einer schafft sich Feinde.

Die «Wochenzeitung», Zentralorgan der linken Glaubenskongregation, liefert das zwingende Argument für einen Einzug der Grünen in den Bundesrat: «Wenn die Klimaerwärmung politisch mit der nötigen Ernsthaftigkeit angegangen werden soll, kann die Regierung nicht auf das Wissen der grünen Parteien verzichten.»

Grünes Wissen ist demnach exklusives Wissen: Geheimwissen, wenn nicht göttliches Wissen – dessen das unwissende FDPSVPCVPSPS-Regierungskollegium selbstverständlich nur teilhaftig zu werden vermag durch einen grünen Propheten im Bundesrat.

Vortreten zum Oblaten-Empfang!

Die Grünen haben aus dem Umwelt-Wissen ein Alleinstellungsmerkmal gemacht. Darauf stützen sie ihr dogmatisches Moral-Marketing – die Verengung der Politik auf Verbots- und Erziehungsfuror: nicht SUV fahren, nicht fliegen, nicht Fleisch essen! Klimawohlverhalten als Bürgerpflicht. Die grüne Bundesrats-Aspirantin Regula Rytz zählt auch den Erwerb von Büchern zu den umweltbelastenden Gewohnheiten: «Ich kaufe kaum Bücher, sondern gehe in Bibliotheken.» Mit dem Velo, wie es sich geziemt.

Das alles imponiert. Die gute Welt ist eine strenge Welt, wie jeder pietistische Pastor weiss. Grüne Prediger klingen allzu oft allzu ähnlich.

Darum wäre der Blick zu weiten: Die Zauberformel des Schweizer Bundesrates ist eine Formel der lebbaren Vernunft. Vor allem der Liberalität. Wie der ganze Staat Schweiz liberal zu atmen pflegt – und daher so gesund ist. Weshalb er des Freisinns bedarf. Noch nie in der jüngeren Geschichte unseres Landes war der Ur-Geist der Partei, die einst das Staatswunder Schweiz erschuf, so nötig wie heute: Freisinn mit Grünsinn – der neue Gemeinsinn.

Die Grünen sollten, bienenfleissig wie sie sind, die Bundesratsparteien im Parlament bestäuben.

Aus dem Bundesratszimmer heraus die Bürger zum Besuch von Bibliotheken statt zum Kauf von Büchern erziehen – das sollten sie nicht.

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