Die Schweizerische Volkspartei ist eine Partei der Grenzen: Grenzen der Politik, wenn sie den freien Personenverkehr mit der EU aufkündigen möchte; Grenzen des Anstands, wenn sie Andersdenkende als Landesverräter beschimpft; Grenzen der Geschichte, wenn sie Propaganda mit Nazi-Symbolik betreibt.
Ja, Grenzziehung und Grenzüberschreitung gehören zum Kerngeschäft der SVP. Sie sieht sich als politische Grenzbefestigung gegen alles, was in ihren Augen nicht zur Schweiz passt, nicht zur Schweiz gehört – was es als unschweizerisch auszumerzen gilt.
Dabei beruft sich die Partei auf das Volk, das sie zu vertreten behauptet, und meint damit nicht etwa ihr Parteivolk, auch nicht ihr Sympathisantenvolk, sondern das ganze Volk – das Schweizer Volk an sich und für sich. Und weil Volk ja im Griechischen «Demos» heisst, reklamiert die Partei für all ihr Tun auch noch das Gütesiegel demokratischen Handelns.
Die SVP sieht sich als Garant der Demokratie – als demokratischen Arm des Volkes, das ausschliesslich und letztlich nur von ihr selbst vertreten werden darf, das sich in ihrer Politik aufgehoben sehen soll, als wäre es ihr Besitz.
Ihr Volk!
Ihre Volksdemokratie!
Dieser Pleonasmus beschreibt präzise jenen pathetischen Populismus, den die Schweizerische Volkspartei zu praktizieren pflegt, aus dem sie offenbar auch eine Form von Volks-Vollmacht ableitet.
Nur so lässt sich folgender Vorgang begreifen: Die SVP will einen Bundesrichter, den sie einst zur Wahl vorgeschlagen hat, der ihr Parteimitglied ist, nicht wiederwählen – weil er in zwei Gerichtsentscheiden anders stimmte, als die Parteilinie es vorgesehen hätte.
Bundesrichter – Richter ganz grundsätzlich – sprechen Recht im Namen des Volkes. Und damit unabhängig von jedweder Partei-Ideologie.
Nun aber soll Bundesrichter Yves Donzallaz nicht länger im Namen des Volkes richten dürfen – weil er es nicht im Namen des Volkes tut, das die SVP zu verkörpern behauptet.
Die Demokratie kennt gemäss der Definition des französischen Staatsphilosophen Charles de Secondat, Baron de La Brède et de Montesquieu drei Gewalten, die der freien Gesellschaft Struktur verleihen und dadurch den demokratischen Rechtsstaat garantieren.
Unseren demokratischen Rechtsstaat.
Was die SVP gerade vorführt, steht im Widerspruch zu Montesquieu: Es ist ein Übergriff der gesetzgebenden Gewalt auf die Recht sprechende Gewalt, es ist eine Missachtung der Gewaltenteilung.
Die Partei der Grenzen akzeptiert die Grenze nicht, die ihr der demokratische Rechtsstaat setzt. Sie geht darüber hinweg. In grenzenloser Anmassung.
Mag die SVP bisher bereits grenzwertig politisiert haben, mag sie Borderline-Politik betreiben, mag sie die Partei zynischer Polemik sein – die jüngste Grenzverletzung geht zu weit.
Für jeden Demokraten.