Nancy Pelosi, Sprecherin des US-Repräsentantenhauses und Nummer zwei in der politischen Hierarchie der Vereinigten Staaten, zerriss vor laufenden Kameras die Rede Donald Trumps zur Lage der Nation.
Susanne Hennig-Wellsow, Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke im Thüringer Landtag, warf dem soeben gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich (FDP) einen Blumenstrauss vor die Füsse.
Was soll das? Was ist das? Liegt es an der weiblichen Übung im Umgang mit Männern? Frauen zerreissen verlogene Briefe des untreuen Gatten und werfen dem Heuchler dessen Blumengebinde vor die Füsse.
Privater Protest, umgemünzt in politischen Protest?
Künden die Weltgrösse Pelosi und die Provinzgrösse Hennig-Wellsow mit ihrer demonstrativen Gradlinigkeit von einem neuen Stil in der Politik? Zeichen setzen statt sich auseinandersetzen? Verachtung statt Achtung?
Wäre es so, es wäre justament das, worauf der weltweit wuchernde Rechtspopulismus von Washington bis Thüringen hinauswill: Spektakel vor aller Bürgeraugen, um die demokratische Politik herabzusetzen, lächerlich zu machen, zu diskreditieren.
Das nämlich ist das Wesen des rechten Populismus: die Zerstörung der demokratischen politischen Kultur.
Wo immer das Populismus-Phänomen um sich greift, wird die demokratische Kultur beschädigt, überall in Europa, nicht zuletzt in der Schweiz – ja, in der Schweiz historisch betrachtet sogar zuerst!
Populisten folgen dem Diktum des faschistischen Staatsrechtlers Carl Schmitt, wonach sich Politik zwischen Freund und Feind abspiele und deshalb derjenige die Macht ausübe, also souverän sei, der den Ausnahmezustand erklären könne.
Wenn die Politik zum Kriegsschauplatz wird, wenn die Demokratie zum Kriegsschauplatz wird, dann ist das erste Ziel der Rechtspopulisten erreicht.
Zu Recht beklagen die Verantwortungsparteien der Demokratie diesen Kulturverfall. Doch was nützt es, Trump oder Thüringens AfD-Sprecher Björn Höcke als Zerstörer der politischen Kultur anzuklagen? Die beiden sind, wie sie sind. Es ist an den Demokraten, anders zu sein.
Anders zu sein als die Rechtspopulisten, würde bedeuten, das Freund-Feind-Schema nicht zum eigenen Verhalten zu machen. Nicht voller Verachtung ein Manuskript des politischen Gegners zu zerreissen; nicht voller Hass dem politischen Gegner einen Blumenstrauss vor die Füsse zu werfen.
Es hiesse, die Contenance zu wahren. Es hiesse, den Gegner nicht als Feind zu behandeln.
Das wäre kein Verzicht auf argumentative Härte, kein Verzicht auf haarscharfe Analyse, auf rhetorische Brillanz – nur Verzicht auf Vulgarität.
Weder Trump noch die AfD haben bisher die Demokratie in Gefahr gebracht – den demokratischen Umgang allerdings schon. Diesen Umgang vor Berserkern zu beschützen, wäre die noble Aufgabe der Demokraten in Politik und Medien.
Wie ginge das?
Nobles, weil demokratisch-kultiviertes Verhalten allein genügt dazu nicht. Es bedarf eines anderen Umgangs mit der Politik: Der Demokrat verzichtet nicht nur auf die Beschimpfung der äusseren Rechten. Er verschwendet überhaupt keine Zeit mit Gezeter. Er nimmt sich der Gründe an, die so viele Wähler der Mitte oder gar der Linken-Liberalen-Grünen dazu verführen, ins Lager der Rechtspopulisten zu wechseln.
Der Demokrat verachtet die äussere Rechte – aber er verachtet nicht die Wähler der äusseren Rechten.
Diese Wähler sind für ihn nicht «Abgehängte» oder «Verlierer», die nur noch mit «Wut im Bauch» politisieren, also emotional und ohne jeden Verstand. Es sind respektable Bürger, die Gründe haben, sich von den Verantwortungsparteien abzuwenden.
Die Demokraten in den USA haben drei Jahre vertan mit der Beschimpfung des Meisterschimpfers Trump. Sie machten aus dem Namen Trump ein Schimpfwort. Die Chance, dass der Beschimpfte wiedergewählt wird, wuchs von Tag zu Tag – und sie wächst weiter.
Das gleiche Schauspiel in Deutschland: Der Umgang mit der AfD ähnelt einer Teufelsaustreibung. Wem sie auch nur applaudiert, der gilt schon als befallen; wer eine Meinung mit ihr teilt, und sei es nur, dass zwei und zwei vier ergibt, der ist des Teufels.
Die AfD erscheint so als übergross, ihr extremster Rechtsextremist Björn Höcke als wiedergeborener Hitler, der «die Berliner Republik vergiftet», wie «Der Spiegel» schreibt. Auf der Titelseite des Hamburger Magazins prangt Höcke über der Titelzeile: «Der Dämokrat».
Der faschistische Wicht – ein Riese. Höckes Tagtraum erfüllt.
2015 lagen die deutschen Rechtspopulisten in Umfragen noch bei drei Prozent. Dann bat Bundeskanzlerin Angela Merkel Millionen Flüchtlinge und Migranten ins Land – mit autoritär-angemasster Macht. Niemand widersprach, niemand wagte auch nur Skepsis. Abweichler von Merkels Linie wurden in die rechtsextreme Ecke verwiesen.
So drückten sich die deutschen Verantwortungsparteien vor ihrer Verantwortung. Was sie mit dem Wegschweigen und Wegducken zu verhindern dachten, wuchs gerade dadurch heran: die äussere Rechte. Die Rechtspopulisten sind inzwischen die drittstärkste politische Kraft in Deutschland.
Höchste Zeit, über die fundamentalen Ursachen dieser Entwicklung offen zu reden.
Reden und Benennen statt Beklagen und Beschimpfen und Manuskript-Zerreissen und Blumen-zu-Boden-Werfen.