Frank A. Meyer – die Kolumne
Frauen wie Männer wie Frauen

Publiziert: 24.11.2019 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 25.11.2019 um 15:27 Uhr
Frank A. Meyer

Mehr als 40 Prozent Frauen im Nationalrat. Frauen erobern die Bundespolitik. Das ist ganz wunderbar!

Einerseits. Und andererseits?

Andererseits musste der Berner Ständerat Hans Stöckli schon im Wahlkampf erfahren, was es bedeutet, unter solch erschwerten Umständen zu politisieren. Der frühere Richter und Bieler Stadtpräsident, ein Mannsbild wie von Jere­mias Gotthelf erfunden, entschuldigte sich für sein Geburtspech: «Ich kann ja nicht als Frau kandidieren.» Er wurde trotzdem gewählt. Doch auf dem 67-Jährigen lastet fortan der Vorwurf, «zu sehr Mann» zu sein, wie einige Grünschnäbel*innen ihm bereits vorwarfen.

In der Parlamentsfraktion der Sozialdemokraten dürfte sich die Zugehörigkeit zu dem vor kurzem noch so starken Geschlecht fürderhin als Schwäche erweisen: Nahezu zwei Drittel der Mitglieder sind Frauen. Die Männer erleben also die klassische Situation der Frauen, massiv in der Minderheit zu sein. Sie müssen sich quasi als Frauen ihrer Haut wehren – Frausein üben, worin ihnen männerfreundliche Genossinnen Nachhilfeunterricht erteilen könnten.

Der Zürcher «Tages-Anzeiger» stellt deshalb dieser Tage die bange Frage: «Kann man als linker Politiker zu sehr Mann sein?» Und, noch besorgter: «Brauchen linke Männer besonderen Schutz».

Solche Sätze gabs bisher nur über Frauen zu lesen, formuliert von Frauen. Ab sofort diktiert der Wahlerfolg der Frauen im Schweizer Parlament die Fragen. Und die alles entscheidende lautet: Wird nun alles anders? Ins politisch Alltägliche übersetzt:

Sind die Frauen anders?

Manche Männinnen inszenieren sich gern als gendergetriebene Barrikaden-Weiber, die der Männermacht endgültig den Garaus machen und Frauenmacht ganz anderer, ganz neuer Art installieren wollen. Furcht soll die maskulinen Machtklüngel, die kungeleigeübten Kumpaneien erschüttern.

Nun ja, jeder kennt den berühmten «kleinen Unterschied»: Mann ist Mann, Frau ist Frau. Aber sonst? Ist eine andere Politik zu erwarten?

Es gibt in der Tat Themen, die Frauen näher liegen als Männern, zum Beispiel Mütterthemen. Frauen sind zwar rechtlich gleichgestellt. Doch ihre Lebenswirklichkeit ist noch immer komplizierter als die der Männer: punkto Kinder und Beruf zum Beispiel oder punkto Haushalt und Karriere – Hürden, die Männer so nicht kennen. Die Frauen im Parlament werden ihnen das schon bald beibringen, zumal die zahlreichen jungen Frauen.

Jenseits solcher geschlechtlich akzentuierter Themen wird der wunderbare Triumph der Frauen den politischen Alltag aber nicht verändern: Grüne Frauen sind grüne Frauen, freisinnige Frauen sind freisinnige Frauen, Genossinnen sind Genossinnen. Genau wie die Männer grüne, freisinnige oder sozialdemokratische Männer sind.

Und was für die politischen Überzeugungen gilt, gilt nicht weniger für den politischen Charakter: Frauen sind so ehrgeizig wie die Männer oder so grosszügig, so offen, so verbiestert, so hinterhältig, so gradlinig.

Ja, Frauen sind auch nur Männer. Und Männer sind auch nur Frauen.

Gleichheit nämlich ist Gleichheit, weil Gleiches gleichgestellt ist. In diesem Fall sind es nun die Frauen.

Wer aus dem Frausein eine Ideologie macht, begibt sich in Teufels Küche. Denn dort kocht der Mann. Er weiss genau, wohin die Frau zu verweisen ist: in die Rolle des anders gearteten, anders ausgestatteten Menschen, anders kompetent und deshalb für anderes zuständig.

Was dagegen bei den Schweizer Parlamentswahlen passiert ist, hat nichts mit Ideologie zu tun. Es gehört zum Höchsten, das die freie Gesellschaft zu bieten hat:

Gleichheit.

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