Die Kolumne
Wohnen ist Leben

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Frank A. MeyerPublizist

Es fehlt an Wohnungen. Es fehlt an erschwinglichen Wohnungen. Es bräuchte, wie es ein Raiffeisen-Mitarbeiter ökonomisch umständlich im Blick formuliert, «etwa eine Jahresproduktion an Wohnungen extra, um die Wohnungsknappheit zum Verschwinden zu bringen».

Was sind Wohnungen? Heimstätten. Ein Zuhause. Der Ort, an dem der Mensch bei sich sein darf. Geborgen in den eigenen vier Wänden.

Doch genau das ist der Trugschluss gängiger Formulierungen: Die allermeisten Wohnungen gehören nicht dem Bewohner. Er ist dort lediglich Mieter. Denn der Vermieter verfügt über die vier Wände, in denen sich das Leben des Mieters abspielt.

Ja, das Leben des Mieters ist abhängig vom Ratschluss des Vermieters: Kündigt er die Wohnung? Verkauft er das Haus? Wird das Mietobjekt zum Spekulationsobjekt? Wird das Zuhause gar abgerissen?

Der Besitzer verfügt über den Besitz – und damit über die Besitzlosen. Das ist die Realität. Eine kalt-rechnerische Realität. Eine Realität von Gewinn und Verlust.

Die kapitalistische Realität.

Und sie lässt sich begründen: Wenn Wohnungen, also Miethäuser ein Geschäft sind, werden sie auch gebaut. Je rentabler, desto mehr. Der Kapitalismus funktioniert – die Menschen kreativ mit dem versorgend, was sie benötigen.

Was benötigt der Mensch dringlicher als ein Zuhause? Sein Zuhause?

Es ist der Ort, an dem das Leben sich in aller Privatheit entfaltet: Familienleben, Familienfeste, Familiendramen – die Bühne dafür ist die Wohnung.

Doch wozu beschreiben, was jeder weiss, weil jeder es erlebt? Weil das Leben im gemieteten Zuhause dem Recht auf private Geborgenheit widerspricht. Weil eine fremde Macht entscheidet über das Schicksal in den vier Wänden, die als eigene eingerichtet und bewohnt werden, jedoch nicht die eigenen sind. Eine Entscheidung, die durch Rauswurf vollzogen wird, gewöhnlich Kündigung genannt.

Ist Schicksal nicht ein allzu wuchtiges Wort für Wohnglück oder Wohnnot?

Wohnen ist Leben. Ohne Wohnen gibt es kein Leben in Würde – und das ist das schlimmste Schicksal. Darüber soll ein Vermieter, ein Immobilienbesitzer, ein Immobilienspekulant entscheiden dürfen? Schon die Vorstellung davon ist widerwärtig.

Doch die widerwärtige Vorstellung ist Alltagsrealität – in diesen Zeiten ganz besonders.

In der Tat, der Kapitalismus versagt gerade. Er liefert nicht, was von ihm erwartet, ja verlangt wird: die Erfüllung gesellschaftlicher Bedürfnisse durch ökonomische Kreativität. Und das ist ein politisches Problem. Wo aber die Eigentumsordnung, also die kapitalistische Grundlage der freien Gesellschaft, zum politischen Problem wird, liegt die Lösung in den Händen der Bürgerschaft: Sie muss bestimmen, wie weit die Macht des Eigentums sich frei entfalten darf.

Die autoritäre Variante: Eigentumsmacht ist aufzuheben, wo sie unziemlich über den andern, den Nicht-Eigentümer bestimmt. Der Politik, den Bürgerinnen und Bürgern ist aufgetragen, zu bestimmen, wie die Not des Wohnens zu beseitigen wäre.

Der Kapitalismus ist der Maschinenraum der demokratischen Gesellschaft, die dessen Kraft und Macht menschliche Dimensionen gibt.

Daher kann sich am Wohnen als wahr erweisen, was die liberalen Ökonomen behaupten: Nur eine freie Wirtschaft löst kontinuierlich und immer wieder aufs Neue die Probleme der freien Gesellschaft.

Denn sie muss frei sein – nicht zügellos.

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