Was ist das: «Frühfranzösisch»? Nein, es geht hier nicht um das Französisch aus vormodernen Zeiten, sondern um den Sprachunterricht auf Primarstufe, also die Unterweisung in einer Fremdsprache zu einem frühen Zeitpunkt im Schülerleben.
12 von 19 Deutschschweizer Kantonen möchten dieses Frühfranzösisch abschaffen. Denn um die Französischkenntnisse in der Schweiz ist es schlecht bestellt, sogar in der französischsprachigen Schweiz, wo die Kinder die Schriftform ihrer Sprache immer weniger beherrschen.
Und alles, was Mühe macht, macht man am besten gar nicht mehr – so das Credo der modischen Pädagogik.
Was aber ist Französisch, wenn man es noch ein wenig genauer betrachtet? Es ist die Muttersprache der Westschweizer – das Idiom ihrer Kultur. Und was ist Französisch für die Deutschschweizer? Ebenfalls das Idiom der Schweizer Kultur, nämlich eine Landessprache. Wie Deutsch und Italienisch, auch Rätoromanisch.
Ja, die Schweizer Sprachenwelt ist reich an Farben: Zu Deutsch als Landessprache gesellen sich die Deutschschweizer Muttersprachen, vom betulichen Berndeutsch übers spitze Baseldeutsch bis zum umlautstarken Zürichdeutsch. Wie soll sich da jemand zurechtfinden, zumal in Zeiten der digitalen Bilderschwemme?
Die Thurgauer, der Modernität gehorchend, wollten dieses unübersichtliche Durcheinander für ihre Kinder bereits im Jahr 2016 bereinigen und durch «Frühenglisch» ersetzen, weil «Globalesisch», wie man das Digital-Englisch auch bezeichnen kann, die Kinder nicht so sehr überfordere. Der Bundesrat lehnte das kantonale Vorhaben ab.
Einst wurde, was Kindern Mühe macht, gerade deshalb früh gelehrt; heute wird die Mühe der Kinder zum Argument für den Verzicht auf Lehrstoff. Bleibt zu hoffen, dass den Schweizer Sprösslingen nicht plötzlich das Zusammenzählen von zwei und zwei Mühe bereitet. Sonst müsste auch die «Frühmathematik» abgeschafft und durch Rechnen auf dem iPhone ersetzt werden; das wäre dann unbestreitbar jugendgerecht.
Was ist Französisch auch noch – ausser Sprache und Landessprache? Es ist Teil der Schweiz! Es ist Schweiz! In New York, Paris oder London ist diese Tatsache jedem kultivierten Menschen geläufig, weshalb die Schweiz überall in der Welt von gebildeten Bürgern so sehr bewundert wird – diese kleine und wundersam kulturreiche Nation.
Das Alpenland strahlt Vielgestalt aus. Berühmtester Ausdruck dieser Vielgestalt sind die Landessprachen Französisch, Italienisch und Deutsch.
Apropos Ausstrahlung der deutschen Schweizer Landessprache: Die Deutschschweizer Literatur ist in der Regel feiner formuliert als die deutsch-deutsche. Aus welchem Grund? Weil Schweizer Autoren beim Schreiben zunächst aus ihrer Muttersprache in die Landeskultursprache übersetzen müssen – Muschg und Hürlimann und Bichsel und Steiner und die Legenden Frisch und Dürrenmatt zählen zu den sprachsensibelsten Dichtern der deutschen Sprachkultur.
Die Schweiz erstrahlt im Dichterglanz.
Die Schweiz ist Sprache.