Die Kolumne
In Liebe zum Land

Publiziert: 00:01 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Das Ergebnis einer Umfrage der Universität Zürich zum 1. August ist klar: Die Mehrheit der Schweizer vertraut vor allem auf das Wirtschaftsmodell Schweiz. Das Modell einer solidarischen Schweiz hingegen liegt in der Rangfolge der politischen Wunschvorstellungen lediglich auf dem fünften Platz.

Ja, der Schweiz geht es gut, seit langem schon, und gerade jetzt. Nicht einmal die Zollzuckungen des US-Präsidenten konnten die Verhältnisse bisher durcheinanderbringen. Weshalb sollte es in Zukunft anders sein?

Firmen, Institutionen, Unternehmer und Arbeitnehmer aus aller Welt strömen in die Schweiz: in das Land, dessen Bürokratie noch erträglich ist, in das Land, dessen Dienstleistungen höchstes Niveau haben, in das Land, das dem grossen Geld gewogen ist.

Die Schweiz, die Schweiz, die Schweiz!

Wir dürfen stolz sein.

Wir, die Bürgerinnen und Bürger, die in der Tradition unserer Mütter und Väter und Grossmütter und Grossväter all das auf- und weitergebaut haben, was für 250'000 Franken zu haben ist:

Ja, 250'000 Franken Steuern pro Jahr.

Für diesen Betrag können sich Ausländer eine Schweizer Aufenthaltsbewilligung beschaffen – ein beliebtes Angebot besonders bei Chinesen und Russen, wie die Statistik zeigt.

Wollen wir die?

Sollen reiche und superreiche Zuwanderer zum Schnäppchenpreis all das geniessen dürfen, was die Schweiz bietet – was sie ausmacht?

Die teure Alpenrepublik verkauft sich billig.

Dabei ist dieses heute so verführerisch reich ausgestattete Land auch das Resultat von Kämpfen um die soziale Gerechtigkeit, wie sie 1918 zum Generalstreik führten, der einen Aufmarsch der Armee zur Folge hatte. Damals war die Schweiz zerrissen. Heute ist sie geeint. Sie hat ihre Klassenkämpfe in kameradschaftliche Bürgerlichkeit verwandelt.

Natürlich gibt es immer noch die sozial Schwachen auf der einen und die Geldgesegneten auf der anderen Seite. Dieser Gegensatz begleitet den Kapitalismus seit je. Der Schweizer Kapitalismus aber kennt den klassisch-kämpferischen Umgang der gesellschaftlichen Schichten kaum noch. Bei uns redet man miteinander – und findet eine Lösung, die jederzeit nach erneutem Miteinander-Reden durch eine bessere Lösung ersetzt werden kann.

Fortschritt durch Arbeitsfrieden.

In Deutschland, in Frankreich, in Italien, ja überall in der westlichen Welt streikt man oft schon, bevor die Verhandlungen zwischen Gewerkschaften und Unternehmern beginnen. In der Schweiz streikt man nicht. Man streitet. Und geht dann gemeinsam zum Bier.

Das Land funktioniert.

Dieses erfolgreiche Wirtschaftsmodell, das die Bürgerschaft gemäss Umfrage der Uni Zürich für die eigene Zukunft so wichtig findet, ist die Folge der solidarischen Schweiz, die es in der Sondierung bloss auf den fünften Platz geschafft hat.

Die einfachen Bürger haben errungen, was heute auf Reiche und Superreiche, auf Oligarchen und Grossmoguln aus aller Welt so anziehend wirkt. Die strahlende Alpenrepublik ist die Frucht von Vernunft, von Leistung, von Kreativität – natürlich auch von Auseinandersetzungen und schwierigen Entscheidungen.

Das historische Wunder Schweiz.

Soll auch die Zukunft geprägt sein vom Erfolg der Wirtschaftsschweiz, muss die solidarische Schweiz das Tun und Lassen im Land bestimmen – und nicht die Wirtschaftsschweiz! Die freie, oft auch anmassende Wirtschaft ist zwar der Motor des erfolgreichen Kapitalismus, dies aber unter steter und nicht nachlassender Kontrolle der Politik, also der Demokratie und des Rechtsstaats.

Zu dieser Kontrolle muss auch die entschiedene Abwehr eines übergriffigen globalen Geldgesindels gehören.

Die weltweit bewunderte soziale Unaufgeregtheit der Schweiz ist nur zu bewahren, wenn der aktuell grassierende Portemonnaie-Patriotismus seine gesellschaftlichen Grenzen findet:

In der Liebe zum Land.

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