In der Tat, Massentourismus ist ein Problem, auch für die Schweiz. Die Welt strömt begeistert in unser kleines, putziges Land. Wir brauchen eine Schutzklausel, gegen die befremdliche EU wie gegen die Fremden überhaupt. Vor allem muss unser wichtigstes Tor zum Süden von Stau und CO2 freigehalten werden: mit einer Tunnelgebühr.
Eine «Maut» für den Gotthard! Wer könnte dagegen sein?
In der «Neuen Zürcher Zeitung» meldete sich nun Marco Solari als entschiedener Gegner dieser Forderung: eine Stimme aus dem Tessin, viele Jahre Tourismus-Verantwortlicher des Kantons, bis vor kurzem Kopf des Internationalen Filmfestivals von Locarno, mütterlicherseits ein
Berner aus dem Stammbaum des Emmentaler Weltliteraten
Jeremias Gotthelf, aber dank seines Studiums in Genf auch ein perfekt Französisch parlierender Eidgenosse.
Marco Solari gegen die Gotthard-Maut!
Das will etwas heissen, denn der Schweiz womöglich schweizerischster Schweizer ist kein Konservativer,
vielmehr ein Kultur-Freisinniger, unter anderem bekannt durch seine Befreiung des Tessins von der Boccalino- und Zoccoli-Romantik, ein Internationalist an der Spitze des weltweit beachteten Filmfests auf der Locarneser Piazza.
Mit seinem kategorischen Nein zur Maut verteidigt er die «Gleichbehandlung aller Kantone und Regionen als zentrales Prinzip» des schweizerischen Staatsverständnisses.
Wer könnte dagegen sein?
Solari verdient mehr als Unterstützung: «Gleichbehandlung aller Kantone und Regionen» klingt fast noch zurückhaltend angesichts des Schadens, den die Maut-Befürworter der Schweiz anzutun bereit sind.
Genau: der Schweiz!
Denn was wäre eine Gebührenpflicht am Gotthardtunnel – oder gar bei der Fahrt über den Gotthardpass? Es wäre der Preis für Reisen von der Schweiz in die Schweiz.
Ja, das Tessin i s t die Schweiz!
Dieser Kanton ist nicht einfach der kleine südliche Landesteil, oft unbedacht als «Sonnenstube» verniedlicht. Eine Schweiz ohne Tessin wäre nicht die Schweiz, wie eine Schweiz ohne Suisse
romande nicht die Schweiz wäre, selbstverständlich ebenso wenig wie ohne die Deutschschweiz, den bevölkerungsmässig grössten Landesteil.
Was die Kultur der Schweiz betrifft, stehen die drei Schweizen eins zu eins zu eins nebeneinander: gleichwertig und unverzichtbar.
Eine Bezahlschranke am Gotthard, vielleicht auch am San Bernardino, würde die Relativierung eines Teils der Schweiz bedeuten: Die italienischsprachige Schweiz wäre für Autofahrer nur noch gegen Eintrittsgebühr zu erreichen – und umgekehrt die deutsche Schweiz bei Fahrten aus dem Tessin.
Alles irgendwie absurd – eine Schnapsidee von Bürgern, die ihr eigenes Land nicht verstanden haben.
Im Thurgau wird erwogen, auf das Frühfranzösisch an den Schulen zu verzichten: Die Kinder hätten immer mehr Mühe mit dieser Sprache, heisst es zur Begründung. Was aber ist Französisch? Es ist Landessprache, und zwar nicht eine Landesprache von mehreren, sondern d i e Landessprache der Schweiz, wie Italienisch d i e Landessprache der Schweiz ist.
Eine Schweiz ohne Französisch, ohne Italienisch, ohne Deutsch?
Das wäre nicht mehr die Schweiz.