Die Kolumne
Die sozialdemokratischen Auswanderer

Publiziert: 00:59 Uhr
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Frank A. MeyerPublizist

Mandy Abou Shoak, Sozialdemokratin mit Migrationshintergrund, hätte gerne für das Amt der Zürcher Stadtpräsidentin kandidiert. Eine in Afrika geborene muslimische Frau an der Spitze der Weltstadt: Das wäre was gewesen! Wobei man trotz langen Nachdenkens nicht so recht weiss, was das denn gewesen wäre – ausser Show.

Die ambitiöse Genossin, seit zwei Jahren Kantonsrätin, kann noch keine politischen Leistungen vorweisen. Sie muss sich deshalb und vorerst auf ihr Anderssein beschränken – Lockenkopf statt politischer Kopf.

So wurde dem Königskind der Kultur- und NGO-Szene ein verdienter «älterer weisser Mann» namens Raphael Golta vorgezogen, wie die «Neue Zürcher Zeitung» mit kritischem Bedauern konstatiert: «Die SP tut in der Stadt Zürich alles für den Machterhalt – und wirft dabei Prinzipien über Bord.» Ihr Klagelied liess die NZZ geradezu pathetisch ausklingen, indem sie Shoak attestierte: «Sie hat den Gottesdienst gestört.»

Es ist noch nicht so lange her, da waren für das altehrwürdige Blatt Sozis jedweder Art Beelzebuben, die es – im Interesse aller altehrwürdigen weissen Männer – entschlossen zu bekämpfen galt. Heute wünscht sich das Blatt aus der Zürcher Falkenstrasse Genossen mit postmodernen Werten, von weiblich über schwarz bis muslimisch.

Allerdings scheinen die Zürcher Sozialdemokraten dabei ihr historisches Erbe aus den Augen verloren zu haben, über das es allerhand zu erzählen gäbe. Zum Beispiel, dass die rot-grünen Diversitäts-Disziplinen keineswegs zum ideologischen Kernbestand gehören; dass sich das Gendern in der sozialdemokratischen Programmatik äusserst befremdlich ausnimmt; dass der Klima-Kanon einerseits schön klingt, die Verdammung des Automobils andererseits heftig mit dem Freiheits- und Fortschrittsdenken klassischer Sozis kollidiert.

Denn zur SP und ihrer 137-jährigen Geschichte passen linksgrüne Lustbarkeiten wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge: Die Sozialdemokratie ist – quasi historisch-genetisch – die Partei der Arbeitnehmer, der Werktätigen, der Lohnabhängigen, des gemeinen Volkes. Ihre Geschichte ist unter anderem deshalb gross zu nennen, weil sie die soziale Unterschicht des 19. Jahrhunderts im 20. Jahrhundert zur modernen Bürgerschaft emanzipiert hat.

Arbeiter und Bürger waren bestimmend in der einst politikprägenden europäischen Bewegung, die sich heute als Erziehungsinstanz über das arbeitende Volk erhebt und dem selbstbewussten Bürger ebenso anmassend wie übergriffig postmodernen Benimm beibiegt, zum Beispiel in Zürich: mit dem Lastenfahrrad die Rämistrasse runter ist korrekt, mit dem Tram die Rämistrasse rauf desgleichen – das Auto ist Teufelszeugs, auch für Arbeiter und Bürgerinnen, die gerne mal ins Grüne oder gar in die Ferien fahren oder auch nur die Kinder frühmorgens in die Schule bringen oder am Abend nach der Arbeit noch Besorgungen machen möchten.

Das Alltagsleben der Arbeiter und Bürger besteht mittlerweile offenbar vor allem aus Verstössen gegen die Gebote der linksgrünen Prediger, die der Gesellschaft verkünden, was Gut und Böse ist.

Der Zürcher «Tages-Anzeiger» ermahnt die Sozialdemokraten – wie es sich in der Zwinglistadt nun mal geziemt – zu Zucht und Ordnung: «Versagt die SP als Diversitätspartei?» Antwort des Lokalblatts: Der Verzicht auf Abou Shoaks Nomination sei «mutlos» und der Partei als «wunder Punkt» anzukreiden.

Wunder Punkt? In der Tat, der Verzicht auf Shoaks Kandidatur ist nur ein Punkt. Aber einer, der auf die grosse Wunde verweist, von der die Sozialdemokratie gepeinigt wird. Nicht nur in Zürich, besonders qualvoll auch in Deutschland, dem Nachbarn, der für die Schweizer Linksgrünen Massstäbe setzt.

Die Wunde hat einen Namen: Migration. Und ihr Verursacher ist bekannt: der Islam, eine Religion der Männerherrschaft, die mit Macht in die westlichen Demokratien strebt, eine retardierte Glaubensgemeinschaft von Millionen Muslim-Machos, deren Ansturm die aufgeklärte westliche Rechtsordnung bedrängt.

Angesichts dieser Herausforderung sieht sich die Sozialdemokratie, die über Generationen und mitunter mutig-einsam für Freiheit und Fortschritt focht, nun als Schutzmacht des ultrareligiösen Ungeistes: Migranten statt «alte weisse Männer» bilden die neue Klientel der Arbeiterpartei – beherrscht und geführt von Universitätsabsolvent*innen, erfolgreichen wie gescheiterten.

Die Akademikerkaste hat die Partei der Proletarier gekapert.

Heute bildet die SP, Arm in Arm mit den Grünen, das Machtinstrument von Söhnchen und Töchterchen privilegierter Herkunft – herablassend darauf bedacht, den Werktätigen soziale Wohltaten zukommen zu lassen, von oben nach unten:

Paternalismus pur.

Wo sind die Werktätigen, die einst die Parteigremien, die Parlamentsfraktionen, die Parteispitzen besetzten und bestimmten? In der Schweiz wählen sie SVP, in Deutschland AfD, ihr politisches Exil ist der rechte Populismus – überall in Europa, wo die produzierende und dienstleistende Klasse ihre sozialdemokratische Heimat an linksgrüne Usurpatoren verloren hat.

Das Proletariat ist auf der Flucht: ausgewandert aus der einst emanzipatorisch-kreativen Kultur der Volkshäuser, der Büchergilde Gutenberg, der Heimatfreunde, der Arbeiter-Sportvereine, der Arbeitermusik. Zurück können die vertriebenen Genossen nicht, denn die sozialdemokratische Bildungswelt der Bodenleger, der Sanitärinstallateure, der Maurer, der Krankenpflegerinnen, der Kassiererinnen, der technischen Zeichnerinnen ist untergegangen. Stattdessen gibt es NGOs, dirigiert von Studierten – den Chefs von morgen.

Ja, die Sozialdemokratie hat ein mächtiges Migrationsproblem: mit den Arbeitnehmern, die aus ihren Reihen emigriert sind. Auswanderer.

Migranten.

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