Man stelle sich das vor! Man stelle sich das in Zürich vor! Im Kanton der Bewegung!
Dort hat die SVP neun Parlamentssitze verloren. Sie ist jetzt mit 45 Sitzen gleich stark wie Grüne und Grünliberale zusammen.
Das konnte nicht ohne Konsequenzen bleiben. Die ganze Parteileitung trat zurück. Blocher war da. Mit gebieterischem Furor.
Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt.
So gottergeben und kniefällig geht es zu in der Partei, die sich als letzter Hort wahrhafter und wehrhafter Demokratie versteht. Und niemand wundert sich. Für den «Tages-Anzeiger» ist der autoritäre Durchgriff eine ganz normale Sache: «Blocher gab den Tarif durch.» Ebenso für den BLICK: «Blocher lässt die Fetzen fliegen.»
Die «Neue Zürcher Zeitung» hält die Partei des Patriarchen von Herrliberg hartnäckig für bürgerlich: «Bürgerliche ohne Mehrheit im Kantonsrat.» Mit Sprache schafft man Herrschaft: Wer bürgerlich wählt, so suggeriert die «NZZ», wählt SVP und FDP. Auch Letztere hat am vergangenen Sonntag verloren. Womöglich geht die Gleichung nicht mehr auf. Bürgerliche Bürger wählten zuhauf Grüne und Grünliberale.
Wo führt das nur hin?
Vielleicht führt es dorthin, wo der Schweizer Freisinn einst war. In die Mitte der Gesellschaft. Kann man sich das heute noch vorstellen? Die Staatsgründer-Partei als Schweiz-Partei? Ja, die FDP vereinigte Köpfe links der Mitte und rechts der Mitte. Sie tat das noch bis in die Neunzigerjahre des vergangenen Jahrhunderts. Sie war die Partei, die der Wirtschaft den Weg in die Gesellschaft wies. Und sie war die Partei, die der Gesellschaft den Weg zur Wirtschaft wies.
Die schweizerische Führungspartei.
Der gebildete Flügel der FDP zählte zum Besten, was die demokratische Kultur des Landes zu bieten hatte. Einige Namen, stellvertretend für manch weitere: Rhinow, Petitpierre, Tschopp, Schoch, Barchi, Generali, Salvioni, Reich, Pini, Mühlemann, Steinegger.
In jener wundersamen Zeit amtete der wirtschaftsgewaltige Ulrich Bremi im Bundeshaus als FDP-Fraktionspräsident. Seine freisinnige Kultur-Elite bezeichnete er als «meine Grenzbefestigung». Die Grenze von damals gibts nicht mehr. Sie wurde ersetzt durch den rechten Schulterschluss: Der Freisinn hält die SVP für bürgerlich.
Könnte es sein, dass viele bürgerliche Wähler anderen Sinnes werden – und kulturliberal stimmen? Beispielsweise für die Grünliberalen, denen die freie Wirtschaft und die frische Luft nicht als Gegensatz gelten, sondern als Voraussetzung zur Lösung des Klimaproblems.
Und könnte es sein, dass diese Grünliberalen sich nicht auf das Umweltthema kaprizieren, sondern der Gesellschaft auch ganz grundsätzlich liberal geprägte Vorschläge machen, die in Zeiten der Globalisierung Bestand haben?
Die jung und geschlechtergerecht grundierte Partei nähme dann die Funktion ein, die der Freisinn seinem Lotterbett mit den Rechtspopulisten geopfert hat.
Zürich ist manchmal mehr als nur Zürich.