Ich weiss, Sie wollen sich abschotten. Morgens und abends im Zug, im Tram und im Bus. Sie hören Musik, scrollen auf dem Handy rum. Bloss nix mitkriegen von den Pfeifen im ÖV. Aber ich möchte Ihnen wärmstens empfehlen, die Kopfhörer mal runterzunehmen, das Handy mal wegzulegen und einfach zu gucken. Einfach zuzuhören. Ich verspreche Ihnen: Es kann schaurig anregend sein.
So wie letzte Woche in meinem Stamm-Tram. Ich sitze ganz hinten, da wo zwei erhöhte Bänke vis-à-vis platziert sind. Ich liebe diesen Platz, man hat alles im Blick. Mein Tram ist voll, wie meistens. Ganz hinten, also unterhalb der Spezialsitze am Ende eines Tramabteils (sagt man hier auch Abteil? Vielleicht besser Waggon), stehen zwei Männer. Anfang 40 vielleicht. Sie sind etwas bieder gekleidet, was sie älter wirken lässt, als sie sind. Sie sprechen – wie man das so oft an einem Montagmorgen tut – über das vergangene Wochenende. Der eine fuhr zu seiner Familie in die Flumserberge. «Meine Familie ist die ganze Woche in der Flumsi. Ich konnte es mir so einrichten, dass ich ab Donnerstag fürs Wochenende hoch konnte», erzählt der eine dem anderen. Ganz gut kennen sie sich nicht, sie sind eher miteinander bekannt. Die Frau sei noch oben mit den Kindern. «Aha», sagt der andere, «schön.» Dann spricht der Flumsi-Typ weiter: «Aber jetzt mach ich dann Ego-Ferien!»
Wie bitte? Was macht er? Ich hab das natürlich nicht laut gefragt. Musste ich auch nicht, er fuhr gleich weiter fort: «Im April fahre ich eine Woche auf die Kanaren. Alleine. Endlich mal ohne Familie. Ferien nur für mich.» Seinem Gegenüber bleibt nicht die Spucke weg, sein Zuhörer sieht ihn auch nicht fassungslos an. Und er fragt auch nicht nach: «Geht denn deine Frau auch in den Ego-Urlaub?» Ich sehe diesen Ego-Typen und denke an seine Frau, wie sie versucht, die plärrenden Kinder mit verklebten Rotznasen wenigstens für zwei Stunden in der Skischule abzuliefern und ihnen abends noch pflichtbewusst Gschichtli vorliest, während der Mann und Vater Fuerteventura bucht – weil er Ego-Ferien braucht.
Aber he, sie ist ja schon in den Ferien – mit ihren Zwergen in den Flumserbergen.