Fix zur Gesellschaft
Die Schlüssel zu meinem Leben

Unsere Autorin Alexandra Fitz hasst es Dinge zu verlieren. Sie denkt Jahre später noch darüber nach, wo die Gegenstände sein könnten. Dieses Mal ging ihr Schlüsselbund verloren – und sie war komplett raus aus dem Leben.
Publiziert: 07.04.2019 um 16:54 Uhr
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Aktualisiert: 21.10.2022 um 11:10 Uhr
Alexandra Fitz, stv. Leiterin SonntagsBlick Magazin
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Alexandra FitzCo-Ressortleiterin Gesellschaft

Wenn einer etwas verliert, kann daraus eine furchtbare Odyssee werden. Zur Sucherei gesellt sich bald die Verzweiflung und dann die Wut. Bis am Ende nur noch die Neugier bleibt: Wo zum Teufel steckt das Teil? Man hat sich längst damit abgefunden, dass man es nie mehr zurückbekommt – aber wissen, wo es abgeblieben ist, das würd man gern.

Ohne Schlüssel kein Leben

Ich habe meinen Schlüsselbund verloren. Der hat mir auch Zugang in mein geliebtes Elternhaus verschafft (sorry, Mama, ich kam noch gar nicht dazu, dir davon zu erzählen!) – und mein schöner aufschraubbarer Anhänger mit der kleinen Liebesbotschaft darin, die ich erst viel später bemerkte (sorry, Unbekannter, ich weiss nicht, wer du bist), ist auch weg. Der Zugangs-Badge meines Ex-Arbeitgebers hing zu Nostalgie-Zwecken noch dran (sorry, «Aargauer Zeitung»!). Nachdem ich Verlustanzeigen machte, rumtelefonierte und persönlich aufkreuzte, war ich verzweifelt. Er könnte nämlich überall sein: in vier Zügen, in einer abgelegenen Berghütte, auf dem verschneiten Wanderweg dorthin, an diversen CH-Bahnhöfen, an zwei Kiosken. Dann kam die Wut auf mich selbst.

Und dann die Wut auf einen Schlüsseldienst in Zürich. Mein Briefkastenschlüssel ging nämlich auch verloren, ich kam also nicht mehr an die Post, Mahnungen verstopften den Briefkasten. Der Brief meiner Bank mit dem Zugangscode fürs neue Online-Banking wurde auch längst abgeschickt. Zu Deutsch: Ich war komplett raus aus dem Leben.

Den eigenen Briefkasten plündern

Ich meldete es dem Hauswart, der wiederum organisierte den Schlüsseldienst. Dieser erreichte mich nicht auf Anhieb, als ich zurückrief, meinte Frau Müller (sorry, Frau Müller!): «Wir müssen gar nicht bei Ihnen vorbeikommen, wir haben zwei Ersatzschlüssel für Sie bestellt und Ihnen zugeschickt!» – «Wie meinen Sie zugeschickt?», fragte ich verdutzt und ergänzte: «Per Post?» – «Ja, genau. Sie sollten die Schlüssel schon im Briefkasten haben.» Aber ich komm doch nicht dran, deswegen brauch ich ja neue Schlüssel. «Oh», meinte Frau Müller kleinlaut. «Das isch jetzt blöd.» – Jo, Frau Müller. Das isch verdammt blöd.

Sie animierte mich dazu, meinen eigenen Briefkasten per Hand zu entfischen. Ansonsten solle ich mich melden und den dritten Schlüssel bei ihr abholen. Ich holte erst mal eine Kelle und versuchte das Beste. Die vorbeiziehenden Leute schauten seltsam, als ich schnaufend und schimpfend meinen Briefkasten malträtierte (sorry, Verwaltung!).

Kinderhände hätten besser in den Schlitz gepasst, meine wurden aufgeschürft. Als Letztes kam ich ans wichtigste Couvert dran. Ich riss es durchs Loch im Milchkasten, total zerfetzt, und hielt die zwei Schlüssel in der Hand. Jetzt bin ich wieder im Leben.

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