Editorial zum Israel-Eklat um Nemo
Die Mär vom unpolitischen ESC

Nach Nemos Boykottaufruf gegen Israel ducken sich die Veranstalter weg. Sie hätten es besser wissen müssen – der Contest war schon immer politisch.
Publiziert: 11.05.2025 um 09:55 Uhr
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Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Am Montag trat Harald Schmidt im Zürcher Bernhard Theater auf. Danach gab er sich in kleiner Runde mit Gastgeberin Hanna Scheuring die Ehre. Dabei waren auch alt Bundesrätin Doris Leuthard und Opernintendant Andreas Homoki.

Die Late-Night-Legende ist nicht dafür bekannt, vor Tabus zurückzuschrecken. Nur einmal wurde Schmidt an diesem Abend schmallippig: Zu einer Schlagzeile über Israel meinte er, dass er da in der Öffentlichkeit lieber schweige. Der Entertainer befindet sich in bester Gesellschaft: Viele Meinungsmacher umschiffen den Nahostkonflikt, zumal bei keinem anderen Thema ein grösseres Risiko besteht, sich auf die eine oder andere Weise in die Nesseln zu setzen.

Nicht so Nemo: «Hold my Negroni», sagte der Schweizer ESC-Star, und platzte am Freitag mit der Forderung heraus, seine israelische Kollegin vom Contest auszuschliessen. Die verschämte Reaktion der Veranstalter auf diesen PR-GAU entlarvt ihre Naivität: Es ist kein Geheimnis, dass Palästina-Solidarität zur DNA von Nemos Umfeld gehört. Das Gesangstalent dürfte sich im Einklang mit dem Zeitgeist wähnen, der sich angesichts der Zustände in Gaza gegen Israel wendet.

«Der ESC ist unpolitisch», betonten die Verantwortlichen kürzlich im SonntagsBlick-Interview. Unsinn. Schon die Punktevergabe ist ein politischer Akt – zum Beispiel das Kartell der Osteuropäer oder die maximale Bewertung zwischen Zyprioten und Griechen. Dass die Ukraine nach dem russischen Angriff den Wettbewerb gewann, war ebenso politisch wie Nicoles Siegerlied «Ein bisschen Frieden» von 1982. Politisch sind letztlich auch die allgegenwärtigen Regenbogenfahnen.

Und Lys Assias «Oh mein Papa» von 1950? Der grosse Hit der ersten ESC-Siegerin – gewonnen hatte sie mit «Refrain» – stammt aus Paul Burkhards «Der schwarze Hecht». Hat diese Komödie, die den Dünkel einer Unternehmerfamilie gegenüber einem Zirkusmädchen thematisiert, nicht auch eine gesellschaftspolitische Komponente?

Wer ist überhaupt unpolitisch? Harald Schmidt hatte darauf am Montag eine Antwort: Überall lese er, dass sich ganz Deutschland mit der AfD beschäftige. In der Bahn von Singen nach Konstanz habe er aber festgestellt, dass die Rentner vor allem damit beschäftigt seien, wie sie ihr E-Bike in den Zug bringen.

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