Editorial zum Badiverbot für Ausländer
Pruntrut entblösst den überforderten Zeitgeist

Gleich drei Ereignisse in schweizerischen und deutschen Freibädern legen einen Zielkonflikt offen: Der öffentliche Raum soll frei sein, aber auch frei von Übergriffen. Zugleich will man auf keinen Fall als rassistisch gelten.
Publiziert: 01:01 Uhr
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Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

«Alli Arte vo Lüt spüred s gliiche Verlange, Pensionäre, Chind und Jugendlichi mit Spange»: Mit dem Song «Badi Badi» setzte der Zürcher Musiker Phenomden den Freibädern 2007 ein Denkmal – als gesellschaftlicher Schmelztiegel, als Badehosen-Boulevard zwischen Sonnencreme-Aroma und Frittiergeruch: das Freibad als Bad der Freiheit.

In der Hitze der letzten Tage allerdings wurde die Badi zum Schauplatz bedenklicher Vorfälle. In einem Schwimmbad des deutschen Bundeslands Nordrhein-Westfalen sorgte ein Warnschild für Hohn und Spott. Unter dem Spruch «Stopp! Grabschen verboten» zeigt es eine rothaarige weisse Frau, die einen dunkelhäutigen behinderten Buben unter Wasser betatscht. Die Zeichnung ist so realistisch wie eine Haiattacke im Bodensee.

In einer hessischen Badeanstalt sollen vier Syrer mehrere minderjährige Mädchen sexuell belästigt haben – worauf der offenbar reichlich unbedarfte Bürgermeister mit der Bemerkung Kritik auslöste, dass die Gemüter bei hohen Temperaturen halt «manchmal blank liegen». Der Mann beteuert, seine Worte seien aus dem Zusammenhang gerissen.

Im jurassischen Städtchen Pruntrut zogen die Behörden jetzt die Notbremse und untersagten Ausländern den Zutritt. Die Massnahme zielt auf Besucher aus den benachbarten französischen Ortschaften – bei denen es sich nicht primär um Petanque spielende Senioren handeln dürfte.

Die drei Ereignisse haben etwas gemeinsam: Da zeigen sich Verantwortliche auf Gemeinde-Ebene heillos überfordert. 

Und womit sind sie überfordert? Mit dem Aufeinanderprallen unterschiedlicher Ansprüche. Jeder Anschein von Rassismus und Stigmatisierung von Minderheiten ist tunlichst zu vermeiden. Zugleich sind Mädchen und Alte und Schwache und überhaupt alle vor Gefahren jeglicher Art zu schützen. Man will den öffentlichen Raum als offenen Raum verstehen – der aber vor Übergriffen verschont bleiben soll. Kurzum: Es geht um den grossen Zielkonflikt der Linken und der Aufgeklärten und der Progressiven, ja überhaupt des heutigen Zeitgeistes. 

Im Freibad wird dieser Zielkonflikt schonungslos entblösst. «Jede wo i Badi gaht, de findet das es Wunder», singt Phenomden. Wie lange noch?

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