Editorial zu Drohnen, Krieg und Kriegsgefahr
Plädoyer für einen kühlen Kopf

Bei aller Sorge vor einer kriegerischen Eskalation in Europa – die Eskalationslust in Teilen der Schweizer Öffentlichkeit irritiert.
Publiziert: 07:00 Uhr
|
Aktualisiert: 04.10.2025 um 21:22 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/2
Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier
Bildschirmfoto 2024-04-02 um 08.40.24.png
Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Ein Hauch von «Krieg der Welten» weht durch Europa – die Live-Reportage über den Angriff durch Ausserirdische wurde vom US-Regisseur Orson Welles an Halloween 1938 im Radio gesendet, mit der Folge, dass Teile der New Yorker Bevölkerung die Sache ernst genommen haben und in Panik geraten sein sollen.

Dass es diese Massenhysterie gegeben hat, wird heute bezweifelt, doch drängen sich gewisse Parallelen zur Gegenwart auf. Mysteriöse Drohnen erscheinen reihenweise im Himmel über dem Kontinent, Flughäfen werden geschlossen, Militärs wie Politiker streiten über Massnahmen und haben Russland im Verdacht: Testet Putin damit den Westen?

Keine Frage: Die Vorfälle geben Grund zur Besorgnis. Irritierend aber ist, wie sehr sich gerade die Schweizer Öffentlichkeit in eine Eskalationslust hineinsteigert. Da wird spekuliert und gemahnt, dass sich die Gewehrkolben biegen. «Ex-Luftwaffenchef warnt vor russischem Angriff auf die Schweiz», titelten die Tamedia-Blätter. «Ein Luftschlag gegen Zürich, Bern, Genf oder den Gotthardtunnel» sei «keine Dystopie mehr». Und die «NZZ» fragte bang: «Was, wenn die Schweiz diesmal nicht verschont bleibt?»

Ob so viel Sirenengeheul und Kassandra-Groove unserer Meinungsmacher geht fast vergessen, dass bloss zwei Flugstunden entfernt, in der Ukraine, tatsächlich Krieg herrscht, ein erbarmungsloses Gemetzel mit toten Kindern, zermürbter Bevölkerung und erschöpften Soldaten.

Wir hingegen geniessen den Vorteil der Geborgenheit inmitten befreundeter Mächte, praktisch umgeben vom Luftraum der Nato. Zusammen mit Österreich bildet die Schweiz dank ihrer geografischen Lage eine alpine Insel der Glückseligen.

Umso grösser wiegt offenbar die Sehnsucht nach dem Schlimmsten: Im «Tages-Anzeiger» analysiert der Historiker Georg Kreis, womöglich sei «gerade in von Kriegserfahrungen verschonten Gesellschaften das Bedrohungsgefühl stärker ausgeprägt».

Wer in diesen Tagen eine akute Gefahrenlage zwischen Boden- und Genfersee heraufbeschwört, tut dies entweder zum Zweck der Aufmerksamkeitssteigerung oder im Sinn eines sicherheitspolitischen Lobbyings. Auf jeden Fall aber im Bewusstsein, dass ein russischer Erstschlag gegen die Eidgenossen wohl so real sein dürfte wie Welles' «Krieg der Welten».

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Heiss diskutiert
    Meistgelesen
      Meistgelesen