Editorial von SonntagsBlick-Chefredaktor Gieri Cavelty
Der Stresstest für die Politik kommt erst noch

Die liberale Demokratie funktioniert so lange, wie der zu verteilende Kuchen gross genug ist. Noch hat man die Frage ausgeklammert, wie die Corona-Kosten bezahlt werden sollen. Das geschah ganz bewusst: Denn diese Frage wird für unsere Demokratie zum grossen Stresstest.
Publiziert: 09.05.2020 um 23:57 Uhr
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Aktualisiert: 10.05.2020 um 07:53 Uhr
Gieri Cavelty, Chefredaktor SonntagsBlick.

Am 15. Juli 1918 teilte der oberste Militärarzt mit: «Der Höhepunkt der ­Epidemie scheint in der Armee überschritten zu sein.» Ebenfalls Entwarnung kam aus den Städten Bern und ­Zürich.

Zwei Monate später ging es mit der Spanischen Grippe erst richtig los. Die Zahl der Erkrankten und Toten schnellte in die Höhe. Die wirtschaftlichen Folgen der Epidemie plagten die Menschen noch über Jahre hinweg.

Diese Woche tagte das Parlament in den monströsen Hallen der Berner Messe. Nicht minder monströs die Summen, die dort gesprochen wurden: Binnen dreier Tage wuchs das Bundesbudget um 80 Prozent.

Im Kontrast dazu stand die ­geschäftsmässige Normalität, um die sich National- und Ständeräte bemühten. «Smart Restart» heisst ein Vorstoss, den beide Kammern in der Corona-Session verabschiedeten. «Smart Restart» hätte das Motto der ganzen Veranstaltung lauten können. Oder auf Deutsch: Die Parlamentarier präsentierten ein Theaterstück namens «Die grosse Zuversicht».

Möglich war diese Inszenierung, weil in den Berner Expohallen ­ausschliesslich über Ausgaben zur Eindämmung der wirtschaftlichen ­Auswirkungen von Covid-19 ­befunden wurde. Klar, gab es ­teils heftige ­Debatten. Dabei ging es meist aber bloss darum, ob der Bund nun einige Millionen mehr verteilen soll oder weniger. Die echten Auseinandersetzungen ­werden erst folgen – dann, wenn es darum geht, wie die Corona-Krise bezahlt werden soll.

Wenn es um Fragen geht wie: Sollen die Bundes­steuern erhöht werden? Oder die Ausgaben ­gedrosselt? Soll bei den Bauern gespart werden? Bei der Armee? Bei den Kranken?

In jedem Fall wird die Nationalbank ihren Tribut an die Finanzierung der Covid-Kosten entrichten müssen. Je grösser dieser Beitrag ist, desto besser! Da mögen ­Ordnungspolitiker und weltfremde Ökonomen noch so auf die ­vermeintliche Unabhängigkeit ­dieser Institution pochen. Wenn die Volkswirtschaft zugrunde geht, ist die schönste währungspolitische Unabhängigkeit keinen Rappen wert.

Die liberale Demokratie funk­tioniert so lange ganz flott, wie der zu verteilende Kuchen gross genug ist. Die Bewältigung von Corona ­bedeutet für unsere Politik darum einen historischen Stresstest. Wohlfühl-Vokabeln à la «Smart ­Restart» werden den Schrecken nicht mindern.

Kommt hinzu, dass die Rechnung weit höher ausfallen wird, als wir es uns derzeit ausmalen. Die britische Zeitschrift «The Economist» spricht mit Blick auf China von der «90-Prozent-Wirtschaft». Das ­Mutterland des Virus begann im ­Februar mit ersten Lockerungen des Lockdowns – gleichwohl liegt die Wirtschaftsleistung dort nach wie vor bei 90 Prozent. Ein Drittel weniger Menschen sind mit dem öffentlichen Verkehr unterwegs. Die Hotels machen zwei Drittel ­weniger Umsatz, minus 40 Prozent sind es bei den Restaurants.

Es gibt wenig Grund zur Annahme, dass sich nicht auch unser Land auf Monate hinaus mit einer 90-Prozent-Wirtschaft begnügen muss. Letzten Endes dürften wir uns darüber ­sogar noch glücklich schätzen. Zwar glauben wir natürlich am liebsten jenen Fachleuten, die jetzt sagen: Es gibt keine zweite Welle, der Höhepunkt der Epidemie ist überschritten.

Aber das hat man der Schweiz vor mehr als hundert Jahren auch schon einmal prophezeit.

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