In den vergangenen Tagen geschah Wundersames mit der Schweiz: Über Nacht wurde sie zu einer Nation der Verhandlungsspezialisten und Strategieexperten.
Kaum waren Bundespräsidentin Karin Keller-Sutter und Wirtschaftsminister Guy Parmelin am Mittwoch mit leeren Händen aus Washington zurückgekehrt, noch bevor die Grossmacht den Kleinstaat mit 39-Prozent-Zöllen zu drangsalieren begann, schlug die Stunde der Besserwisser.
Ihre Ratschläge klangen so bunt wie die Versprechungen von Schlangenölverkäufern im Wilden Westen: Wir hätten unsere Beziehungen zu den Amis besser pflegen sollen! Wir hätten Donald Trump entschiedener entgegentreten müssen! Wir hätten ihm besser ein unwiderstehliches Angebot gemacht! Mehr Frechheit! Mehr Schmeicheleien! Mehr Europa! Mehr Machtpolitik! Mehr Tempo! Mehr Coolness! Weniger Sachargumente! Weniger Pharma! Weniger Gold!
Es stimmt ja: Die Selbstgewissheit, mit der Keller-Sutter und Parmelin ihre Bundesratskollegen und die Öffentlichkeit monatelang zu beruhigen suchten, wirkt heute mehr als irritierend. Den beiden hätte klar sein müssen, dass ein Kopfnicken von US-Ministern zu einem Deal nur gerade so viel Wert hat wie Trumps jeweils aktuelle Laune.
Zugleich stellt sich die Frage, warum sich die Supertaktiker erst jetzt zu Wort melden. Wo waren die Parteispitzen mit ihren wohlfeilen Tipps? Wo waren Wirtschaftskapitäne und Verbände mit ihren gewichtigen Argumenten? Wo waren die Gewerkschaftsführer mit ihrer Besorgnis um Zehntausende Arbeitsplätze? Wo waren die Trump-Fans von rechts und die Trump-Hasser von links, die so genau zu wissen glauben, wie der US-Präsident tickt?
Keller-Sutter ist in diesen Tagen zur einsamen, tragischen Heldin geworden – zum Gesicht einer Nation, die nach Jahren im Schonwaschgang an der neuen autoritären Hackordnung in der Welt scheitert. Mit dem Verlöschen der liberalen, globalisierten Weltordnung erlebt auch der Schweizer Sonderfall seinen Herbst.
Hoffnung hält die Geschichte bereit: Sie lehrt, dass die Alpenrepublik Krisen nicht nur meistern, sondern mit ihrer Innovationskraft sogar daran wachsen kann. Der Schock aus Washington könnte sich dereinst als heilsam erweisen.
Und auch dann werden die Experten und Spezialisten wieder zur Stelle sein.