Editorial über die 10-Millionen-Schweiz
Am Montag beginnen die Schweizer Schicksalstage

Auf die Bevölkerung wartet ein Festival der direkten Demokratie: Der Souverän steht vor Weichenstellungen, die epochaler sein könnten als die EWR-Abstimmung.
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Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Wenn die Eidgenossenschaft eine Nummer wäre, dann wäre sie eine Primzahl: durch nichts teilbar ausser sich selbst. Alle Spaltungsversuche verpuffen. Die Sezessionsgelüste ehemaliger rechtsbürgerlicher Spitzenpolitiker ebenso wie die Klassenkampfparolen von links. Das Monument steht solide.

Seit einiger Zeit allerdings sind, inmitten einer unruhigen Weltlage, seismische Erschütterungen zu vernehmen. Sie sind Vorboten einer Abstimmungsserie der Superlative, eines Festivals der direkten Demokratie: Kaum je hat die Schweizer Bevölkerung so wirkungsvoll die standortpolitischen Weichen ihres Landes stellen können. Das ist der wahre helvetische Reichtum, der den Unterschied zu anderen Staaten ausmacht.

Möglich macht das ein Bündel von fünf Vorlagen: die Nachhaltigkeits-Initiative, die Grenzschutz-Initiative, die Neutralitäts-Initiative, die Kompass-Initiative – und, natürlich, die Abstimmung über die EU-Verträge.

Den Reigen eröffnet die Nachhaltigkeits-Initiative gegen die «10-Millionen-Schweiz», die voraussichtlich im Sommer an die Urne kommt. Entscheidendes passiert schon kommende Woche: Am Montag debattiert der Ständerat über Gegenvorschläge zum SVP-Ansinnen. Und bald steht fest, ob sich eine Allparteienallianz inklusive Wirtschaft und Gewerkschaften der SVP entgegenstellt. Oder ob die Mitte ausschert. Manche ihrer Ständeräte können sich für die Vorlage erwärmen – sie wissen, dass die Migration mit ihren Facetten von der Kriminalität über Schulen am Anschlag bis zum überhitzten Wohnungsmarkt ein alles durchdringendes Thema ist. Die Christdemokraten müssen 2027 die Wahlen gewinnen, weil sie der FDP endlich den zweiten Bundesratssitz abluchsen wollen. 

Das verleitet zum Flirt mit der SVP. Wie schon einmal: Die damalige CVP enthielt sich 2016 im Parlament bei der Umsetzung der 2014 angenommenen SVP-Masseneinwanderungs-Initiative. Aber auch diese Zerreissprobe überstand die Nation – unteilbar wie eine Primzahl.

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