Editorial über den Alaska-Gipfel
Kuscheln mit dem Kreml

In der Nähe des russischen Präsidenten wirkt Donald Trump eigenartig zahm. Lange hoffte man auch in der Schweiz, dass dies der einzige Weg zum Frieden sein könnte. Diese Hoffnung schwindet.
Publiziert: 01:11 Uhr
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Reza Rafi, Chefredaktor SonntagsBlick.
Foto: Philippe Rossier
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Reza RafiChefredaktor SonntagsBlick

Im Jahr 2017 drehte Hollywoodveteran Oliver Stone eine Dokumentarreihe über den russischen Präsidenten Wladimir Putin: Für die «Putin-Interviews» liess der sonst so unnahbare Machthaber den Amerikaner ganz nahe ran. Der reagierte mit naiver Begeisterung. So durfte der Regisseur Putin beim Eishockeyspielen filmen. Als Putin nach einem Match das Eis verlässt, grüsst er in die Kamera: «Hello, Mr. Stone». Der früher so systemfeindliche Filmemacher freute sich wie ein kleiner Bub.

Mit seiner Anbandelei in Moskau hat Hollywoods einstiges Enfant terrible viel Kredit verspielt; dass der Macher von Meisterwerken wie «Platoon» und «Larry Flynt», der für sein gesellschaftskritisches Schaffen dreimal mit dem Oscar prämiert wurde, gegenüber einem Kriegsverbrecher vor aller Augen den Kotau machte, stiess auf breites Unverständnis.

Im Fall des Paradiesvogels Stone ist derlei Anbiederung peinlich genug. Wirklich problematisch wird es, wenn der mächtigste Mann der Welt vom Putin-Virus befallen scheint. Am Gipfeltreffen am Freitag in Alaska erlebte die Menschheit die Begegnung zwischen einem zahmen US-Präsidenten und einem triumphierenden Kremlherrscher: Der erreichte, dass Donald Trump die zentrale Forderung nach einem Waffenstillstand in der Ukraine fallen lässt.

Man könne sich des allgemeinen Eindrucks nicht erwehren, «dass der amerikanische Präsident gegenüber Putin seltsam gehemmt agiert», befand die «NZZ». Hat der Russe etwas gegen den Amerikaner in der Hand? Der salbungsvolle Empfang für Wladimir Putin steht tatsächlich im krassen Gegensatz zur Abkanzelung des ukrainischen Präsidenten im Februar im Weissen Haus. Lange glaubten Trumps Anhänger – auch in der Schweiz –, dass eine Appeasement-Politik der einzige Weg sei, Putin zum Frieden zu bewegen. Diese Hoffnung schwindet seit Freitag.

Trump mag in Anchorage in bester Absicht gehandelt haben – erwies Putin damit aber einen unbezahlbaren Dienst. Der Philosoph Friedrich Nietzsche warnte einst: «Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehen, dass er nicht selbst zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.»

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