Früher trugen Wirtschaftskapitäne Zweireiher und konsumierten mittags im Nobelrestaurant ein üppiges Mahl, dazu diverse Gläschen Wein. Heute gehen Topmanager joggen und gönnen sich zum Lunch einen Apfel. Damit signalisieren sie: Ich habe alles unter Kontrolle – auch meine körperlichen Schwächen.
An der Spitze des wichtigsten Schweizer Konzerns kann davon keine Rede sein – Nestlé-CEO Laurent Freixe wurde wegen einer internen Liebschaft entlassen, die er sogar noch verleugnete, bis er endgültig aufgeflogen war. Das amouröse Beziehungsgeflecht in der Teppichetage kommt nun häppchenweise ans Tageslicht.
Dass der Nahrungsmittelriese in Vevey, mit dem Tausende Schweizer Arbeitsplätze sowie unzählige Zulieferer, beträchtliche Steuererträge, Anlagerenditen und Pensionskassen-Guthaben verbunden sind, von einem Don Juan und dem Verwaltungsrat in den Abgrund geritten wird, müsste die Alpenrepublik in Alarmstimmung versetzen. Stattdessen herrscht weitgehend Ruhe – nach einem gewohnten Muster: Wenn es brennt, breitet sich eidgenössische Lethargie aus. So war es schon im Vorfeld des Swissair-Groundings und des Credit-Suisse-Debakels. Die erfolgreiche Wirtschaftsnation hadert mit ihren grössten Vorzeigebetrieben, mehr noch: Sie scheint ihre Lieblinge zuweilen mit seltsamer Lust an der Selbstzerstörung abmurksen zu wollen. Die Zukunft des WEF hing zeitweise am seidenen Faden. Die Bedrohung kam nicht von linksautonomen Kapitalismusgegnern, sondern aus einem exklusiven Zirkel der helvetischen Elite. Der Rest des Establishments zuckte mit den Achseln.
In einem anderen Fall schreitet die öffentliche Hand gleich selbst zur Tat: Der global florierende Zürcher Schuhhersteller On kämpft im wichtigen Wachstumsmarkt China um die Verwendung des Schweizerkreuzes. Der Konflikt begann nicht wegen Peking, sondern aufgrund einer Intervention von Swissness Enforcement, einer Organisation, die vom Schweizer Steuerzahler mitgetragen wird. Man muss On-Schuhe nicht mögen – aber in Zeiten des US-Protektionismus, in denen sich die Exportnation Schweiz international neu orientieren muss, wirkt ein solcher Masochismus noch verrückter. Im Ausland reibt man sich die Augen.
Die Schweizer Steuermänner und Steuerfrauen sollten solche Signale ernst nehmen – ob sie noch schlemmen oder schon joggen.