Merkel, Trittbrettfahrer und ein Moloch
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Chef am WEF:Merkel, Trittbrettfahrer und ein Moloch

Der Chef am WEF
Höchstes Niveau, peinlichster Kommerz

Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe, besucht in diesem Jahr das WEF zum 17. Mal. Heute beschreibt er, wie sehr manche versuchen, in Davos wenigstens irgendwie dabei zu sein.
Publiziert: 23.01.2019 um 20:40 Uhr
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Aktualisiert: 24.01.2019 um 09:01 Uhr
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Christian Dorer, Chefredaktor der Blick-Gruppe.
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Christian Dorer

Eine Woche WEF – das ist eine Woche Weiterbildung. Zum Beispiel bei den grossen Reden: Ich setze mich immer möglichst weit nach vorne. Denn es ist etwas völlig anderes, einen Vortrag nur nachzulesen oder den Redner live zu erleben.

Bisher am beeindruckendsten war die Ansprache von Angela Merkel (64). Man kann an der Bundeskanzlerin aussetzen, was man will: Die Frau strahlt Stabilität und Selbstvertrauen in höchstem Masse aus. Als sie darüber spricht, dass ohne Kompromisse gar nichts läuft, kann ich nicht anders als denken: eigentlich typisch schweizerisch.

Schweizerisch – und völlig echt – ist auch ihre Bescheidenheit. Am Nachmittag trifft Angela Merkel im Kongresszentrum überraschend auf Giuseppe Conte (54). Sie schleppt den italienischen Premier spontan in die Bar, wo auch ich gerade bin. «Haben Sie schon bezahlt?», fragt sie Conte am Ende der kurzen Begegnung. «Hier ist alles gratis!», entgegnet der Professor des Privatrechts lachend. Europas wichtigste Politikerin bedankt sich höflich bei der Kellnerin.

Am interessantesten sind die kleinen Veranstaltungen. In einer Lunch-Diskussion über die Zukunft Russlands sitze ich mit Österreichs Aussenministerin Karin Kneissel (54) zusammen – bei ihrer Hochzeit schaute kürzlich Putin als Gast vorbei. Mit uns am Tisch sitzt ein unvorstellbar reicher und ebenso einflussreicher Oligarch. Es ergibt sich eine hitzige Diskussion über die Rolle der Russen im ukrainischen Bürgerkireg und auf der Krim. Wird die Welt durch solche Gespräche besser? Nun, zumindest kann man die Positionen der anderen Seite danach teilweise nachvollziehen.

Dann gibt es noch eine dritte Kategorie von Veranstaltungen – und die sind ein gewaltiges Ärgernis: Trittbrettveranstaltungen! Immer mehr kommerzielle Unternehmen mieten für eine Woche ganze Davoser Läden oder Geschäfte und dekorieren sie zu Firmenpavillons um. Dort laden sie dann spät am Tag ihre Kunden ein, damit sie zu Hause damit prahlen können, sie seien auch «an einem WEF-Abend» gewesen – obwohl der Anlass rein gar nichts mit dem World Economic Forum zu tun hatte.

Diese Trittbrettfahrer sind schuld daran, dass die Preise in Davos noch unverschämter steigen, die Strassen noch verstopfter sind, Hotelzimmer noch rarer werden.

Für Davos ist das WEF eine riesige einwöchige Geldmaschine. Ist es aber auch eine gute Werbung? Würde ich die Bündner Gemeinde nur vom WEF her kennen, als hektischen, überfüllten, überteuerten Moloch – ich würde niemals freiwillig privat hierherkommen.

WEF 2020

Vom 21. bis 24. Januar findet wieder das World Economic Forum (WEF) in Davos statt. Rund 2500 internationale Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft treffen sich zum Austausch.

Vom 21. bis 24. Januar findet wieder das World Economic Forum (WEF) in Davos statt. Rund 2500 internationale Persönlichkeiten aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft treffen sich zum Austausch.

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