Die Bittsteller zielten mitten ins britische Herz: «Wir würden Ihren legendären schwarzen Humor vermissen.» Ebenso natürlich den «Tee mit Milch», Pubs und Linksverkehr! Die vereinigten deutschen Parteiführer schrieben den widerspenstigen Insulanern am Freitag einen Brief – an dessen Ende sie wie verlassene Liebhaber flehen: «Bitte! Stay with us!»
Für ihren Appell wählten die Absender die «Times». Kurz zuvor hatte das Unterhaus Theresa Mays Austrittsabkommen mit der EU bachab geschickt. Nun droht am 29. März der chaotische Brexit.
Im Vereinigten Königreich herrscht innenpolitische Blockade. Genau wie in der Schweiz, wo die Lager im Streit um das institutionelle Rahmenabkommen unverrückbar Stellung bezogen haben.
Die Botschaften der EU in Richtung Bern und London tönen ähnlich: Alleinige Schuld am Schlamassel tragen die störrischen Rosinenpicker bzw. «Cherry-Pickers» – vor allem aber die naiven, von Populisten verführten Stimmbürger, die das Manna aus Brüssel partout nicht kosten wollen.
Als Supraleiter für Europas Deutungsmacht dienen auch wir Medien: Eilfertig füttern Korrespondenten die Debatte mit jeder Regung aus dem EU-Apparat, welche die Drohkulisse verstärkt. Am Montag übernahm der EU-Korrespondent von Radio SRF das EU-Narrativ vom «bestmöglichen» Brexit-Deal. Am Donnerstag verkündete die «NZZ», gestützt auf eine «zugespielte» interne Weisung, einen noch höheren Druck auf die Schweiz. Dass die EU in der Verhandlungslogik gar nicht anders kann, als solche Signale auszusenden – jede öffentliche Annäherung an die Schweiz würde die laufende Konsultation des Bundesrats torpedieren – geht unter.
Vor allem aber gibt es noch eine andere Seite der Story. Eine, die auch ausserhalb der Albisgüetli-Welt kritisch beleuchtet werden muss: Ist die EU womöglich mitschuldig an der verfahrenen Lage? Hat Brüssel den Bogen überspannt?
So sicherte sich die EU im gescheiterten Brexit-Deal ein Veto-Recht für den Fall eines britischen Austritts aus der Zollunion. Dank dieses «Backstops» hätte London seine Aussenhandelspolitik also an Brüssels Gängelband betreiben müssen – weshalb nicht das «No» des Unterhauses, sondern das «Yes» von Premierministerin May überrascht.
Dasselbe Powerplay beim Rahmenvertrag, Artikel 10 Absatz 3: «Das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union ist für das Schiedsgericht verbindlich.» Bei so weitgehenden Ansprüchen gegenüber einem Nicht-Mitglied erscheint Widerstand geradezu folgerichtig.
Je grösser die internen Probleme der Union, desto härter ihre Machtpolitik – das viel beschworene Friedensprojekt EU wird zum Hegemon.
Darüber täuschen auch Liebesbriefe aus Berlin nicht hinweg.