Berner Platte – die Kolumne aus dem Bundeshaus
Gleichstellung durch gleich lange finanzielle Spiesse

Aline Trede über die gesellschaftlich notwendige Abschaffung der Heiratsstrafe.
Publiziert: 00:01 Uhr
|
Aktualisiert: 14.06.2025 um 18:38 Uhr
Teilen
Anhören
Kommentieren
1/2
Aline Trede, Nationalrätin und Fraktionschefin der Grünen.
Foto: keystone-sda.ch

In der aktuellen Sommersession des Parlaments hat die Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative) eine letzte Hürde genommen – doch nun droht schon wieder neues Ungemach durch ein Kantonsreferendum. Die Initiative und der Gegenvorschlag wollen inhaltlich eine fairere Verteilung der Steuerlast. Eine individuelle Besteuerung bedeutet, dass das Einkommen einer Person einzeln – also nicht das addierte Einkommen etwa eines Ehepaars oder eines Paars in eingetragener Partnerschaft – besteuert wird. Bereits 1984 hatte das Bundesgericht diese «Heiratsstrafe» kritisiert.

Ein häufiges Argument sind die Steuerausfälle. Die wird es auf Bundesebene anfangs geben. Wenn aber eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie möglich ist und keine steuerliche Zusatzbelastung mehr besteht, dann werden Frauen nach der Geburt der Kinder vermehrt in den Arbeitsmarkt zurückkehren. Das hilft gegen den Fachkräftemangel und bringt mehr Steuereinnahmen. Mit dem angenommenen Vorschlag würden 49,9 Prozent weniger Steuern bezahlen, 14,3 Prozent würden mehr bezahlen.

Die Debatte hat sich aber bei weitem nicht nur um die Finanzen gedreht. Es ging um Rollenbilder und Familienmodelle. Wertvorstellungen prallten aufeinander. Die Gegner haben mit einer Veränderung des alten Rollenbilds grosse Mühe. Die Frau gehört in ihren Augen doch eher nach Hause zu den Kindern statt ins Arbeitsleben. Die Diskussion um die Individualbesteuerung ist eine Finanzdiskussion. Aber die Argumente sind gesellschaftlicher Natur. Die grosse Mehrheit will ein gleichberechtigtes System, in dem alle Elternteile gleich viel arbeiten und die Kinder betreuen können. In über 90 Prozent der Fälle sind heute die Männer in höheren Pensen beschäftigt. Viele Frauen sehr tiefprozentig, was sich später auch auf die Vorsorge negativ auswirkt. Zudem erhalten Frauen immer noch nicht überall für die gleiche Arbeit den gleichen Lohn (auch darum gingen wir gestern beim Feministischen Streik auf die Strasse).

Und auch die Gesellschaft verändert sich stetig, nur schon demografisch. Mit der Individualbesteuerung unternehmen wir einen weiteren Schritt.

* Aline Trede ist Fraktionschefin der Grünen im Nationalrat und Umweltwissenschaftlerin. Sie schreibt hier jeden zweiten Sonntag – im Turnus mit SVP-Nationalrat Alfred Heer.

Teilen
Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?