Menschen und Natur ausbeuten: Schluss damit! So klingt es derzeit auf dem Campus einer der elitärsten Wirtschaftsuniversitäten der Welt: Harvard. Dort stehen Studenten Schlange für den Kurs «Kapitalismus neu denken» der Wirtschaftswissenschaftlerin Rebecca Henderson.
Nun ist Harvard nicht gerade bekannt als Hochburg von Hippies oder Weltverbesserern, und ausgerechnet von dort stammt ein Konzept für einen ethischeren Kapitalismus? «Meine Studenten erwarten von der Firmenwelt eine soziale Mission», stellt Henderson klar. Zwei Generationen hat der Kapitalismus verführt, mit vielen Millenials hat er es verbockt. Und diese vielen kritischen jungen Stimmen finden zunehmend Gehör.
Besessen vom Profit
Ob Frau oder Mann der Strasse oder die Elite am World Economic Forum: Immer mehr stören sich am Kapitalismus. Das Edelman Trust Barometer zeigt, dass mehr als die Hälfte der Menschen auf der Welt meinen, dass Kapitalismus mehr schadet als nutzt. Umfragen zeigen, dass Kapitalismus für viele das System ist, das Reiche noch reicher macht und Arme noch ärmer.
In Davos sagten gar die Mächtigen und Multimillionäre dem herrschenden Kapitalismus den Tod voraus. Die Wirtschaft sei besessen vom Profitdenken. Dies habe zu einem Notstand an Ungleichheit geführt. In der Tat sind die Löhne seit der Finanzkrise im Westen kaum gestiegen, die Vermögen aber enorm. Die, welche schon Geld, Häuser, Kunst und Aktien hatten, haben nun noch mehr.
Sozialer Kapitalismus
Die Harvard-Professorin fordert deshalb einen sozialen Kapitalismus. Sie hat zusammen mit anderen Forschern ein System entwickelt, das Firmen sozial und ökologisch misst, also nicht nur finanziell. Sie schlägt vor, dass die Börsen dieser Welt damit schnell Wandel bringen. Die Aktienplätze sollen von ihren Mitgliedern nicht nur Berichte zu Finanzzahlen fordern, sondern auch Analysen zur sozialen und ökologischen Verantwortung. Weiter kritisiert sie am Börsensystem, dass vierteljährliche Berichte kurzfristiges Denken fördern. Würden die Zahlen mal schlechter ausfallen, würden sofort Innovationsprojekte gestrichen. Das verhindere langfristigen Erfolg.
Ethischere Börsen: Auch das Silicon Valley will damit die Wall Street und den Kapitalismus herausfordern. LTSE, Long Term Stock Exchange, nennt sich die geplante Börse für Gut-Firmen, eine Aktienplattform für Firmen, die sich nicht so sehr um vierteljährliche Umsatzsprünge scheren, sondern langfristig erfolgreich sein wollen. Die mit Millionen finanzierte Grossoffensive will nur Firmen an ihrer Börse, die sich einem bestimmten Verhaltenskodex verpflichten. Der Handelsplatz soll noch dieses Jahr lanciert werden.
Ethisch und nachhaltig
Henderson hofft, dass damit Investorengelder in die richtigen und verantwortungsvollen Firmen fliessen. Der beliebteste Harvard-Kurs, «Kapitalismus neu denken», kommt nächsten Monat auch als Buch heraus. Henderson zitiert im Untertitel dazu die schwedische Umweltaktivistin Greta und verspricht nichts weniger, als dass ein ethischer Kapitalismus auch das grösste Problem unserer Zeit, die Klimakrise, lösen könnte.
Schade, dass viele Firmen noch nicht begreifen, was für die neue Generation von Studenten sonnenklar ist: Nur geteilter Wohlstand kann nachhaltig sein. #aufbruch
Patrizia Laeri (42) ist Wirtschaftsredaktorin und -moderatorin von «SRF Börse» und «Eco» sowie Beirätin im Institute for Digital Business der HWZ. Sie schreibt jeden zweiten Mittwoch für BLICK.