Neuer Glanz für den Westflügel des Landesmuseums
Die ganze Schweiz in einem Schloss

Nach einer langen Restaurierungsphase erstrahlt der Westflügel des Landesmuseums in Zürich ab nächster Woche in neuem Glanz. Ein Besuch ist ein Muss: Nirgendwo sonst sind so viele Schätze der Schweiz vereint.
Publiziert: 07.10.2019 um 10:17 Uhr
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Aktualisiert: 08.10.2019 um 09:49 Uhr
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Ab dem 11. Oktober 2019 erstrahlt der Westflügel des Landesmuseums in Zürich in neuem Glanz.
Foto: Thomas Meier
Silvia Tschui

In gewissen, insbesondere Architektur-interessierten Kreisen wird das alte Gebäude des Landesmuseums in Zürich ja oft belächelt – des Stils wegen, in dem es gebaut ist. Historismus nennt sich die bauliche Extravaganz, die von ca. 1850 bis vor dem Ersten Weltkrieg in Mode war. In ihm sind wie in einem Schweizer Birchermüesli diverse Ingredienzien miteinander vereint. Ein bisschen mittelalterliches Schloss, ein bisschen Renaissance, ein bisschen Barock ergeben zusammen ein schönes, aber auch etwas mischmaschiges Ganzes. 

Das gilt auch für die Gestaltung der Innenräume – nur ist dies, wie sich bei einem Rundgang vor der Neueröffnung des Westflügels zeigt, ein Glücksfall: Es gibt wohl kein anderes Gebäude in der Schweiz, in dem man zu Fuss eine Zeitreise durch das Beste absolvieren kann, was die Schweizer Baugeschichte vor der Moderne zu bieten hat. Das liegt daran, dass das Landesmuseum bereits beim Bau 1894 so konzipiert war, dass ganze, historisch wichtige Räume aus Schweizer Klöstern, aber auch Privaträumen demontiert und im Landesmuseum wieder eingebaut werden konnten. Sie wurden nun, seit 2016, aufwendig restauriert und in Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege in den baulichen Originalzustand versetzt. 

Zurück zum Ursprung, auf in die Moderne

Das bedeutet: Spezialfirmen mussten etwa die Bodenkacheln replizieren, Wandmalereien restaurieren oder kunstvoll geschnitzte Balken und Geländer, welche in der Sammlung lagerten, wieder fachgerecht einbauen. «Die Idee bei der Restaurierung war, die Räume so zu rekonstruieren, wie sie im ursprünglichen Bau konzipiert waren – und darin die Sammlung in einer modernen Art zu präsentieren», sagt Ausstellungskurator Luca Tori.

Noch immer sind circa 15 Arbeiter fieberhaft an der Fertigstellung – eine exklusive Presseführung zeigt aber vorab, dass man bereits stundenlang in der noch unfertigen Ausstellung verweilen könnte. Man beginnt etwa mit dem Bestaunen des 500 Jahre alten Täfers im Oetenbachzimmer, einst wohl die Privatkammer der Priorin des längt abgerissenen Klosters Oetenbach. Oder man wandelt durch das reich mit Schnitzarbeiten verzierte Zimmer Pestalozzis, um schliesslich – nach diversen anderen baugeschichtlich interessanten Räumen – im reich verzierten Barocksaal der Zürcher Familie Lochmann zu landen.

Das ausgestorbene, mächtige Zürcher Geschlecht hat viele Offiziere hervorgebracht. Im Prunkzimmer der Familie versammeln sich Porträts der wichtigsten Akteure des Dreissigjährigen Kriegs. Mittels interaktiver iPads können Besucher die Geschichten hinter den Porträts erfahren – und wissen alsbald über vergangene Intrigen, Liebschaften, Skandale und Ränkespielchen der besseren europäischen Gesellschaft um 1630 Bescheid. Sozusagen «Game of Thrones» in real. 

Überhaupt sind die vergangenen Movers and Shakers der Schweiz allenthalben präsent: So spendet von ungefähr 1588 bis 1617 jeder, der etwas auf sich hält, sündhaft teure Buntglasfenster fürs Luzerner Kloster Rathausen – und hofft so auf einen sicheren Platz im Himmel. Immerhin: Ein kleines Stück Unsterblichkeit haben sie sich tatsächlich erworben: Ihre Fenster und die darin verewigten Familienwappen stehen nun seit 1898 im Kreuzgang des Landesmuseums. 

Die Restaurierung des Landesmuseums

Seit Herbst 2016 arbeiten rund 85 Einzelfirmen mit circa 280 Handwerkern in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege an der grossen Restaurierung des Westflügels. Aktuell befinden sich noch der Turm und der Ostflügel im Umbau, mit der Fertigstellung im Jahr 2020 wird dann eine rund 20-jährige Planungsphase abgeschlossen, und das Landesmuseum erstrahlt wieder in neuem altem Glanz. Die Restaurierung des Ost-, West- und Hofflügels sowie des Turms verschlang ein Budget von 95 Millionen Franken.

Seit Herbst 2016 arbeiten rund 85 Einzelfirmen mit circa 280 Handwerkern in enger Zusammenarbeit mit der Denkmalpflege an der grossen Restaurierung des Westflügels. Aktuell befinden sich noch der Turm und der Ostflügel im Umbau, mit der Fertigstellung im Jahr 2020 wird dann eine rund 20-jährige Planungsphase abgeschlossen, und das Landesmuseum erstrahlt wieder in neuem altem Glanz. Die Restaurierung des Ost-, West- und Hofflügels sowie des Turms verschlang ein Budget von 95 Millionen Franken.

Fabelwesen und fabelhafte Medikamente

Fast noch interessanter als die Räume und die dazugehörigen Personen scheinen aber die Ausstellungsobjekte. Wie unglaublich reich die Schweiz in ihrer Geschichte und ihrem Kunsthandwerk war, wie reich auch die Mythologie, Glaube und Aberglaube, erschliesst sich erst, wenn man all die Schätze aus Jahrhunderten vor Augen hat. Oftmals zeigt sich Unerwartetes im Kleinen: Monster und Fabelwesen spreizen etwa auf überaus kunstvoll gearbeiteten Keramik-Kaminkacheln ihre Fänge und Krallen und verweisen auf eine innovative Keramikindustrie der Vergangenheit, genauso wie auf ein lange in urtümlichem Naturglauben geprägtes, christliches Glaubensgefüge. 

Ähnliche mythologische Wesen finden sich im Übrigen auch auf einigen der interessantesten Schätze des Landesmuseums – etwa auf dem bekannten, grossen St. Galler Globus, der neben dem kartografischen und astronomischen Wissensstand des 16. Jahrhunderts auch mit allerlei Meeresungetümen reich bemalt ist. Wen angesichts dieser Monster der Schrecken packt und wer deshalb gleich ein Zipperlein entwickelt, der ist gleich im Raum nebenan gut aufgehoben: Dort, in der urtümlichen Apotheke aus dem 18. Jahrhundert, empfiehlt einem ein virtueller Mönch allerlei Rezepturen, Pülverchen und Tinkturen, um alsbald gestärkt weiterzuwandeln.

Was innovative Industrie betrifft, steht die Schweiz in diversen Zweigen ganz vorne. Wie jedes Kind weiss, sind dies natürlich Uhren und Schoggi, im Landesmuseum sind die dazugehörigen Zimmer neu im Turm zu finden. Weniger bekannt, aber mit ebenso grosser internationaler Ausstrahlung ist die Schweizer Textilindustrie. Neben barocken Kostümen mit reich verzierten Stickereien und Brokatstoffen finden sich auch prächtige Stoffe für die Haute-Couture, die immer noch in der Schweiz hergestellt werden. Ihnen allen gebührt natürlich ebenfalls ein Raum.

Waffen kommen ab 2020 in die Ruhmeshalle

Buben- (und manche Erwachsenen-)Herzen schlagen im Landesmuseum insbesondere aber in einem Raum höher: in der Waffensammlung. Bis anhin im Turm angesiedelt, werden diverse der unzähligen Rüstungen, Schwerter, Lanzen, Dolche, Kriegsbeile und was das kriegerische Herz sonst noch begehrt, ab Januar 2020 in der ebenfalls sanierten Ruhmeshalle zu sehen sein. 

Die schönsten dieser Waffen sieht man aber bereits ab nächstem Freitag im Obergeschoss. Sie dienten rein zu Repräsentationszwecken: Im 16. Jahrhundert gehörte es sich in besseren Abendgesellschaften etwa, einen Dolch in einer überaus reich verzierten Scheide zu präsentieren. Feinste Goldschmiedarbeiten zeigen darauf Schlüsselszenen aus den Sagen der griechischen Antike – man wollte ja nicht nur seinen Reichtum, sondern auch eine gewisse Kultiviertheit zur Schau stellen. 

Abschliessend ist angesichts der lang ersehnten Neueröffnung des Westflügels zu sagen: So ein Birchermüesli ist eine urschweizerische, weltweit bekannt gewordene Institution. Und in diesem Falle wird erst noch alles mit äusserst vielen, erstklassigen Ingredienzien angerichtet. 

Ab dem 11. Oktober kann die Ausstellung im Westflügel wieder besucht werden.

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