Christine (62) und Urs Stucki (60) aus Gsteigwiler BE erlebten die Situation, wie sie viele Familien mit Wohneigentum mit den Jahren kennen: Die Kinder werden erwachsen und gehen eigene Wege. Zurück bleiben nicht mehr ganz junge Eltern in einem Haus oder einer grossen Wohnung.
Zu viel Aufwand und unnötiger Platz
«Wir lebten in einer eigenen Wohnung im gleichen Haus wie meine Schwiegereltern», erzählt Christine Stucki Blick. Das Haus, in dem das Paar 23 Jahre lebte und seine Kinder grosszog, erschien ihm in absehbarer Zeit zu gross und zu arbeitsaufwändig.
Das berufstätige Ehepaar, das schon immer aktiv am gesellschaftlichen sowie politischen Dorfleben teilnahm, wollte aber auch künftig im Dorf bleiben und in der zweiten Lebenshälfte nicht mehr umziehen. Urs Stucki ist seit 2017 Gemeindepräsident von Gsteigwiler und wie seine Ehefrau im Bildungsbereich tätig.
Ursprüngliche Idee angepasst
Nach Recherchen reifte beim Ehepaar die Idee, im Dorf eine Hausgemeinschaft mit anderen Ü50ern in ähnlicher Lebenssituationen zu gründen. «Als es dann aber konkreter wurde, waren einige doch noch nicht so weit, diesen Schritt zu wagen», so Urs Stucki. So wurde aus der ursprünglichen Idee ein Mehrgenerationenprojekt, das Stuckis vorantrieben.
Das Vorhaben, ihr eigenes Haus zu einer Hausgemeinschaft umzubauen, wurde nach ersten Überlegungen verworfen. Sie verkauften das Haus an eine junge Familie mit Kind.
2014 begannen Stuckis mit einem Architekturbüro die Planung eines Neubaus in Minergiestandard für ihr Projekt. «Wir fanden in Gsteigwiler geeignetes Bauland, das eigentlich gar nicht zum Verkauf stand. Nachdem wir der Eigentümerin von unserem Projekt erzählt hatten, war sie aber begeistert und wir konnten das Grundstück erwerben», so Urs Stucki. Die Finanzierung sicherten sie dank des Verkaufes ihres Eigenheims und der Unterstützung von Stiftungen wie der AGE-Stiftung.
Pflichten regelt ein Ämtliplan
Nach Verzögerungen durch Einsprachen konnten sie 2016 mit dem Bau starten. Im Herbst 2017 war die Liegenschaft bezugsbereit und im Frühling 2018 wurde der Verein Hausgemeinschaft Bühl gegründet, der das Zusammenleben regelt und dem alle Hausbewohner beitreten müssen – auch die Hauseigentümer Urs und Christine Stucki, die in eine der beiden Dachwohnungen eingezogen sind. In einer Wohnung im ersten Obergeschoss im Haus leben die Eltern von Urs Stucki.
Die Reinigung von Treppenhaus, Waschküche oder Gemeinschaftsraum wird von einer Putzkraft erledigt. Pflicht aller Bewohnenden ist aber die Teilnahme im Frühling und im Herbst an Arbeiten im Aussen- und im Innenbereich, wie beispielsweise Pizzaofen und Regenwassertank-Filter reinigen oder die Vorhänge der Gästezimmer waschen. Für andere Tätigkeiten wie Altpapier bündeln und bereitstellen, Kaffeemaschine entkalken, Gras mähen oder anderes hat der Verein einen Ämtliplan erstellt.
Viel Privatsphäre und aktiv gelebte Gemeinschaft
Aktuell wohnen 14 Personen – vier Generationen im Alter von 2 bis 87 Jahren – in der Hausgemeinschaft mit den fünf Dreieinhalbzimmer- und zwei Zweinhalbzimmerwohnungen.
Alle Wohnungen, mit Balkon oder Sitzplatz, verfügen über eigene Küche und Bad. Bis auf die gemeinsamen Gästezimmer im Estrich sind alle Wohnungen im Mehrfamilienhaus mit Lift ausgestattet, hindernisfrei und rollstuhlgängig.
Die Mieterinnen und Mieter haben die Möglichkeit, sämtliche Gemeinschaftsräume sowie die Gästewohnung im Estrich der Liegenschaft zu nutzen, und der gesamte Aussenbereich mit Sitzplatz und Garten wird gemeinschaftlich genutzt. Im Untergeschoss steht allen zusätzlich ein Fitnessraum und eine Werkstatt zur Verfügung. «Uns war ein guter Ausbaustandard aller Wohnungen wichtig und dass neben der Gemeinschaft auch alle genug Rückzugsmöglichkeiten und Privatsphäre haben», sagt Christine Stucki.
Neben gemeinsamen Aktivitäten wie Kochen und Essen im grosszügigen Gemeinschaftsraum mit Küche unterstützen sich die Hausbewohner auch bei Einkäufen oder teilen sich die Autos. «Bis jetzt gab es nur einen Wohnungswechsel wegen eines Wegzugs», sagt Urs Stucki.
Mut der Initianten hat sich gelohnt
Das nachhaltige Wohn- und Lebenskonzept der Hausgemeinschaft Bühl ist auf viel Interesse gestossen und entspricht einem Bedürfnis. Christine und Urs Stucki sind froh, dass sie sich schon in jüngeren Jahren ganz ohne Not und Druck an die Planung fürs Alter gemacht haben. Christine Stucki rät darum: «Ich finde es wichtig, dass man so etwas in Angriff nimmt, solange man noch Kraft und Energie hat. Es braucht etwas Mut, aber für uns hat es sich gelohnt.»