Alle reden über die weibliche Sexualität. Was ist Lust? Wie sieht deine Vulva aus? Was genau kann die Klitoris? Wenn sich Frauen mehr mit sich selbst und mit ihrem Körper beschäftigen, bemerken viele vielleicht noch etwas anderes. Nämlich, dass sie von Frauen fantasieren. Das heisst nicht automatisch, dass sie auch auf Frauen stehen. Dania Schiftan, Psychotherapeutin und Sexologin, klärt auf.
«Ich habe immer wieder Frauen jeglichen Alters in der Praxis, die von Frauen fantasieren, und sich komisch fühlen dabei, weil sie nur mit Männern ins Bett wollen», berichtet Schiftan. Leute könnten durchaus vom gleichen Geschlecht fantasieren, aber in der Realität keinen Sex mit dem gleichen Geschlecht haben wollen. Es sei dann eben nur ein erregender Gedanke. Genauso wie es der berüchtigte Dreier für viele sei. Sie träumen von einem Dreier, in echt möchten sie diese sexuelle Erfahrung aber gar nicht. In echt, schiebt Schiftan an, ist er oft auch gar nicht so prickelnd, wie ihn sich alle ausmalen. Fantasien und Wünsche sind nicht das Gleiche.
Je präsenter, desto anziehender
«Wenn ich mich für etwas interessiere, sehe ich es überall und es fällt mir als schön auf», sagt die Psychotherapeutin. Je mehr ich mich mit meinem eigenen Geschlecht auseinandersetze, je präsenter es mir wird, desto mehr fange ich an es in meinen Gedanken und Fantasien präsent zu haben. Und es sei ja nur logisch, dass ich das, was ich an mir sexy finde, auch bei anderen gut finde.
Sexuelle Orientierung sei so viel mehr, als man meint, sagt Schiftan. Schon der Kinsey-Report aus den 50er Jahren, der Aufschluss gab über das menschliche Sexualverhalten, zeigte auf, dass es viel mehr Dimensionen von Sexualität gibt. Nicht nur hetero- oder homosexuell, sondern auch Sexualität in Phasen oder eben in Gedanken und der Fantasie. Man müsse nicht immer alles definieren, Sexualität dürfe fluid sein.
Männer gehen anders damit um
Frauen setzen sich mit diesen Gedanken mehr auseinander. Einige kommen sogar von sich aus in Therapie und sagen, dass sie in einen Mann verliebt sind, aber dass sie der Penis nicht anmacht. Sie fänden Frauenkörper viel erregender. «Es herrscht dann natürlich Verunsicherung», sagt Schiftan. Aber man müsse nicht sofort auf das Ganze schliessen. Zu oft würde Herz und Sexualität in denselben Topf geworfen. Natürlich gibt es Frauen, die dann merken, dass sie auf Frauen stehen. Da sei ein Prozess, sagt Schiftan.
Auch Männer würden oft vom gleichen Geschlecht fantasieren, obwohl sie heterosexuell sind. Aber sie kommen damit nicht in die Therapie oder sprechen darüber, sondern bleiben meistens stumm. «Ihnen kommt die Gesellschaft stärker in den Weg», sagt Schiftan. Sie sind mit dem Bild des «richtigen» Mannes aufgewachsen, der auf Frauen steht.