Serie «Das Erbe der 68er» – Terrorismus
Studenten werden zu Terroristen

Fünf Jahrzehnte nach dem magischen Jahr 1968 stellt sich die Frage: Was bleibt von der Studentenrevolte, die damals Europa erschüttert hat? BLICK gibt zwölf Antworten. Heute Teil 10: Die Todesspur der linksterroristischen RAF.
Publiziert: 07.09.2018 um 11:13 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2018 um 22:31 Uhr
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Andreas Baader und Gudrun Ensslin während des Brandstifter-Prozesses in Frankfurt am Main im Oktober 1968.
Foto: AP
René Lüchinger

Wie ein roter Faden zieht sich die Radikalisierung durch die Geschichte der deutschen Studentenbewegung – bis diese mit der Roten Armee Fraktion (RAF) zur Blutspur führte. Die Terrorgruppe stürzte den Staat im «Deutschen Herbst» 1977 in die grösste Krise der Nachkriegszeit.

Am Anfang stand ein Datum, ein Foto. 2. Juni 1967. An diesem Tag wurde das Bild gemacht, das den sterbenden Studenten Benno Ohnesorg zeigt: ein schmächtiger junger Mann mit Schnauz, rotem Hemd und Sandalen. Am Rand einer Demonstration gegen den Schah von Persien schoss ihn der Staatsschutzbeamte Karl-Heinz Kurras ohne Not gezielt und aus kurzer Distanz in Berlin nieder.

«Genossen, wir brauchen Waffen!»

Die Fotografie wurde zu einer Ikone mit fast religiöser Symbolik und politisierte eine ganze Generation. Der Todesschütze wurde in einem fragwürdigen Prozess vom Vorwurf der fahrlässigen Tötung freigesprochen.

Noch in derselben Nacht trafen sich aufgebrachte Studenten im Zentrum des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes (SDS) am Berliner Kurfürstendamm. Einige forderten: «Genossen, wir brauchen Waffen!» Die Oberhand behielt jedoch Studentenführer Rudi Dutschke, der sich gegen Gewalt aussprach, stattdessen von einer «Einheitsfront von Arbeitern und Studenten» träumte.

Baader, Meinhof, Ensslin

Einige Hitzköpfe hatten genug von «intellektuellem Geschwätz», forderten «endlich Aktionen!» Einer von ihnen: der Münchner Andreas Baader, ein Taugenichts mit gewalttätigem Charakter. Er fand eine Gleichgesinnte in der ihm willfährigen schwäbischen Pfarrerstochter Gudrun Ensslin.

Im April steckten die beiden in Frankfurt zwei Warenhäuser in Brand, und als sie von der Polizei geschnappt wurden, faselten sie etwas von «Gewissen» und «Vietnam» als Motiv für ihre Tat. Über den «Brandstifter-Prozess» berichtete auch die linke Starjournalistin Ulrike Meinhof – kurze Zeit später wurde aus ihnen die «Baader-Meinhof-Bande», das Spitzenpersonal der sich nun im Untergrund formierenden ersten Generation der RAF.

Der Staat knickt nicht ein

1972 explodierten innerhalb von zwei Wochen an sechs Orten RAF-Bomben: vier Tote und 74 Verletzte. Noch vor Ende Jahr ging das Trio den Fahndern ins Netz. Es wurde im Hochsicherheitstrakt im Gefängnis Stuttgart inhaftiert, wo den Terroristen auch der Prozess gemacht werden sollte.

Doch draussen im Land mordete eine zweite RAF-Generation mit dem Ziel, die «politischen Gefangenen» in Stammheim freizupressen. In der «Offensive 77» töteten Terrorkommandos unter anderem den Generalbundesanwalt Siegfried Buback und den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer. In Stammheim begingen nach Meinhof auch Baader und Ensslin Selbstmord – wohl im Wissen, dass der deutsche Staat rund um Kanzler Helmut Schmidt vor dem RAF-Terrorismus nicht in die Knie gehen würde.

34 RAF-Opfer, fünf Unbeteiligte

Eine zweite und dritte Terroristen-Generation mordete noch ein Jahrzehnt weiter. Erst 1998 löste sich die RAF auf. Begründung: Der bewaffnete Kampf sei wirkungslos und ohne Resonanz in der Bevölkerung geblieben. Die Bilanz ihres mörderischen Tuns: 34 RAF-Opfer, 18 RAF-Tote und fünf Unbeteiligte, die von der Polizei bei Aktionen gegen den Linksterrorismus erschossen worden waren.

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Krawall um Globus-Provisorium

Der Globus-Krawall markierte die schweizerische Spielart der Radikalisierung von Studenten und Jugendlichen in Zürich. Als die Zürcher Stadtregierung sich weigerte, das damals leerstehende Gebäude des Warenhauses Globus am Zürcher Bahnhof für ein autonomes Jugendzentrum zur Verfügung zu stellen, kam es am 29. Juni 1968 zu einer zunächst friedlichen Protestaktion mit rund 2000 Demonstranten.

In einem Flugblatt waren die Aktivisten aufgefordert worden, «Baumaterial, Holz, Latten, Bretter, Nägel, Hämmer» mitzubringen, um diesen Freiraum trotzdem in Beschlag zu nehmen. Als die Polizei anordnete, den Platz vor dem Gebäude zu räumen, drehten die Aktivisten Richtung Bellevue ab, in der Absicht, auf der Sechseläuten-Wiese ein «symbolisches Altersheim für die Jugend» zu bauen.

Wassersalven und Knüppel

So weit kam es nicht: Die Polizei setzte Wassersalven aus Feuerwehrschläuchen und Knüppel gegen die Demonstranten ein, diese warfen Steine und Flaschen zurück. Bis in die Morgenstunden tobten die Strassenkämpfe.

Die Polizei nahm 169 Demonstranten fest und traktierte etliche von ihnen noch nach der Verhaftung mit Schlägen. Diese Polizeigewalt politisierte in der Schweiz eine ganze Generation nach dem Vorbild der «Ausserparlamentarischen Opposition» (APO) in Deutschland. Als dort Teile der Studentenbewegung in den Terrorismus abgleiteten, löste sich die Bewegung in der Schweiz auf und atomisierte sich in Splittergruppen.

Der Globus-Krawall markierte die schweizerische Spielart der Radikalisierung von Studenten und Jugendlichen in Zürich. Als die Zürcher Stadtregierung sich weigerte, das damals leerstehende Gebäude des Warenhauses Globus am Zürcher Bahnhof für ein autonomes Jugendzentrum zur Verfügung zu stellen, kam es am 29. Juni 1968 zu einer zunächst friedlichen Protestaktion mit rund 2000 Demonstranten.

In einem Flugblatt waren die Aktivisten aufgefordert worden, «Baumaterial, Holz, Latten, Bretter, Nägel, Hämmer» mitzubringen, um diesen Freiraum trotzdem in Beschlag zu nehmen. Als die Polizei anordnete, den Platz vor dem Gebäude zu räumen, drehten die Aktivisten Richtung Bellevue ab, in der Absicht, auf der Sechseläuten-Wiese ein «symbolisches Altersheim für die Jugend» zu bauen.

Wassersalven und Knüppel

So weit kam es nicht: Die Polizei setzte Wassersalven aus Feuerwehrschläuchen und Knüppel gegen die Demonstranten ein, diese warfen Steine und Flaschen zurück. Bis in die Morgenstunden tobten die Strassenkämpfe.

Die Polizei nahm 169 Demonstranten fest und traktierte etliche von ihnen noch nach der Verhaftung mit Schlägen. Diese Polizeigewalt politisierte in der Schweiz eine ganze Generation nach dem Vorbild der «Ausserparlamentarischen Opposition» (APO) in Deutschland. Als dort Teile der Studentenbewegung in den Terrorismus abgleiteten, löste sich die Bewegung in der Schweiz auf und atomisierte sich in Splittergruppen.

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