Erst bemerke ich die Blicke der andern gar nicht. Die Atemschutzmaske ist zwar erstaunlich bequem – gewöhnungsbedürftig ist sie aber trotzdem. Mir bleibt nur warme und feuchte Luft, trotz Ventil. Das Atmen fällt einem schwer, die Brille beschlägt. Vermaledeit!
Doch dann nehme ich die Welt langsam wieder wahr. Passanten schauen nur eine Sekunde länger als üblich, andere starren mich unverfroren an. Unangenehm ist beides. Eine Mutter zieht sogar ihr Kind von mir weg, und auch sonst gerät mein Nachhauseweg zum Spiessrutenlauf. So fühlen sich also Menschen, die ganz anders aussehen als der Durchschnitt. Aus welchen Gründen auch immer.
Immerhin: Direkt angesprochen oder beschimpft werde ich nicht. Aber das Getuschel wie «Schau mal dort» oder gar «So weit ist es schon» höre ich deutlich – ich trage ja einen Mund- und keinen Ohrenschutz. Der Zug rollt an, ich steige ein und bleibe im Eingang stehen. Nur nicht auffallen, nur keine weiteren Blicke provozieren. Umso glücklicher bin ich zu Hause. Bloss weg mit der Maske! Mir gehts wieder gut.
Daran schien die Verkäuferin in der Apotheke ernsthaft zu zweifeln. Freudig aufgeregt – wie beim ersten Kondom-Kauf – war ich zu ihr geeilt und hatte «ein Pack Atemschutzmasken» verlangt. Ruhe, ein ernster Blick, der Griff zur Schachtel. Die Apothekerin nimmt sie vom Stapel, gleich hinter dem Tresen. Ich frage: «Die liegen aber nicht immer so weit vorne?» Sie antwortet: «Nein, erst seit gestern.» Ich bezahle – das Abenteuer wartet.
Am Morgen nach der ersten Experiment-Phase ist der Mut zurück. Trotzig setze ich mich in ein leeres Viererabteil der S-Bahn. Kurz vor der Abfahrt setzt sich tatsächlich eine Frau dazu. Die anderen zwei Plätze bleiben frei. Die Mitreisenden stehen lieber 25 Minuten, als sich zum Maskenmann zu setzen.
Plötzlich eine Stimme: «Billettkontrolle!» Oh Schreck. Mit dem weissen Gebinde vor der Nase sehe ich dem Bild auf dem Streckenabo nicht wirklich ähnlich. Dem Kontrolleur ists egal. So gleichgültig reagiert später nur noch die Coop-Kassiererin, bei der ich mein Zöpfli bezahlen muss. Auch sie scheint offenbar Erfahrung mit schrägen Typen zu haben. Null Reaktion.
Endlich im Büro. Was mich den ganzen Tag noch beschäftigt, ist das Gefühl von Isolation und Abschottung. Die Maske schützt nicht nur – sie ist auch Barriere für jedes Gespräch. Hoffentlich wird das nie zum Schweizer Alltag.
Übrigens: Einzig zwei Punkerinnen sprechen mich direkt an. Sie lachen und rufen: «Achtung, auch wir haben die Schweinegrippe.» Ich wende mich ihnen zu, lächle zurück. Sie verstummen abrupt – denn sie sehen nur ein grusliges Vlies. Kein freundliches Gesicht.