Schweizer Lyrikerin Storni
Im Tessin geboren, in Argentinien ein Star

Die Tessinerin Alfonsina Storni (1892–1938) ist in Argentinien bis heute eine Berühmtheit. Jetzt gibt es die erste deutschsprachige Werkausgabe – und bald eine nach ihr benannte Apfelsorte.
Publiziert: 25.09.2021 um 15:25 Uhr
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Aktualisiert: 29.09.2021 um 11:18 Uhr
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Hildegard E. Keller stöberte über zehn Jahre Texte von Alfonsina Storni auf und übersetzte sie ins Deutsche.
Foto: THO
Daniel Arnet

Alfonsina Storni, ist das nicht die Tessinerin in der Pampa? Oder ist sie die Argentinierin aus dem Luganese? Diese Fragen stellt sich die Schweizer Literaturkritikerin und Sprachwissenschaftlerin Hildegard E. Keller (61). Beides sei nicht falsch, kommt sie zum Schluss.

Keller muss es wissen, denn eben hat die Hispanistin eine vierbändige Storni-Werkausgabe vollendet und dafür Zeitungskolumnen, Erzählungen, Briefe und Theaterstücke aus dem Spanischen ins Deutsche übertragen. Eine mustergültige Edition, die eine der grössten Schriftstellerinnen mit Schweizer Wurzeln für uns erstmals umfassend erleb- und lesbar macht.

«Man hat Respekt vor ihr, der wehrhaften»

1892 kommt Alfonsina Storni in Sala Capriasca TI nahe Lugano zur Welt. Ihre Eltern, die Verwandte im Tessin besuchen, kehren mit der Tochter 1896 ins Auswanderungsland Argentinien zurück. In San Juan am Fuss der Anden, später in Rosario wächst Alfonsina auf. Ihr Vater betreibt dort das Café Suizo.

1906 stirbt er, und Alfonsina muss mit 13 in einer Hutfabrik arbeiten, wo sie sich politisiert und zum 1. Mai anarchistische Flugblätter verteilt. 1913 publiziert sie erste Gedichte und heimst in der Folge mehrere Preise für ihre Lyriksammlungen ein. 1922 erhält Storni den Premio Nacional, den argentinischen Nationalpreis für Literatur.

«Von Storni ist sowohl in Argentinien, wo sie noch immer sehr bekannt ist, als auch im Tessin, wo man sie sehr schätzt, praktisch nur die frühe Lyrik bekannt», sagt Keller. Mit dieser Werkausgabe will sie die Dichterin nun als feministische Journalistin, selbstironische Erzählerin, kinderfreundliche Theaterautorin und gefeierten Medienstar präsentieren.

Die chilenische Dichterin und Literaturnobelpreisträgerin Gabriela Mistral (1889–1957) schreibt über Storni: «Wenn Alfonsina mag, gibt sie sich tiefsinnig, ohne transzendentales Geschwurbel.» Sie sei hellwach und achte auf ihr Gegenüber, mit einer Geistesgegenwart und Intelligenz, die Zuneigung ausdrücke.

Mercedes Sosa besingt Stornis Tod

1930 ist Storni auf einer gefeierten Lesetour in Spanien. Anschliessend macht sie noch einen Blitzbesuch in ihrem Tessiner Geburtsort und verfasst das Gedicht «Suiza» (Schweiz): «Berge gürten sie, Täler schmücken sie mit Blumen / Ultramarin porträtieren die Seen ihren Himmel / Der Rhein befruchtet sie, Schneekuppen verehren sie / Man hat Respekt vor ihr, der wehrhaften», lautet die erste Strophe.

«Man hat Respekt vor ihr, der wehrhaften»: Das trifft auf die Schweiz zu, aber auch auf Alfonsina Storni. «Eine selbstbestimmte Frau, die ihren Weg gegangen ist», sagt Keller. Der letzte führt Storni 1938 bei Mar del Plata ins Meer, nachdem bei ihr 1935 Brustkrebs ausbricht. «Alfonsina y el Mar» ist eines der bekanntesten lateinamerikanischen Lieder, mit dem unter anderen Mercedes Sosa (1935–2009) den Tod Stornis besingt.

Auch Hildegard Keller hört dieses Lied in ihrer Jugend, realisiert aber erst später, dass es diese Alfonsina tatsächlich gab. «2008, als ich für eine Professur in die USA umsiedelte, begann ich mit den Recherchen zu Alfonsina Stornis Leben und Werk», sagt sie. Ein aufwendiger und langwieriger Prozess, denn es gibt keinen Nachlass von Storni. Keller: «Über zehn Jahre habe ich Quellen zu Stornis Leben aufgestöbert und ihre Texte übersetzt.»

Vier Bücher für Bibliophile sind die Früchte ihrer Arbeit. Und bald gibt es noch eine weitere Ernte: «Eine Gruppe, die sich für Fruchtbäume einsetzt, hat eine alte, nur in Sala vorkommende Sorte gefunden», sagt Keller. Die Äpfel aus Stornis Tessiner Geburtsort sollen den Namen Alfonsina bekommen. «Die Erinnerung an sie mit einem Baum, der Jahr für Jahr Früchte tragen wird, hätte ihr bestimmt besser gefallen als eine Statue», so Keller abschliessend.

Alfonsina Storni, «Cardo, Interviews & Briefe» und «Cimbelina, Theaterstücke», herausgegeben und übersetzt von Hildegard E. Keller, Edition Maulhelden; damit ist die vierbändige Werkausgabe abgeschlossen. 2022 veröffentlicht Keller noch eine Storni-Biografie.

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