Bis vor ein, zwei Jahren war es ein Stigma, vor der Praxis eines Schönheitschirurgen erwischt zu werden. Nur ein paar Promis standen zu Operationen, deren Folgen sie eh nicht verbergen konnten – in der Regel Brustvergrösserungen, die von der Öffentlichkeit oft belächelt oder gar verurteilt wurden. Wir erinnern uns an die Diskussion um Maria Dolores Diéguez (25): Als herauskam, dass die Drittplatzierte an der Miss-Schweiz-Wahl 2003 ihren Busen vergrössert hatte, wurden Disqualifikations-Rufe laut.
Das war gestern. Heute boomt die Schönheit durch den Arzt nicht nur, sie erlebt auch eine Enttabuisierung. Das zeigt ein aktueller Radiospot: «Gli chömmer id Badi» – «Aber nöd mit mine Fettpölschterli» – «Wegmache la!» – «Absuge? Das isch doch en Heisse?» – «Aber nöd im Liposuction-Center». Der Dialog ist realitätsnah: Man spricht heute miteinander über vorgenommene oder geplante Eingriffe, gibt sich Tipps und Kontakte.
Dies beobachtet auch Dr. med. Nikolaus Linde, der gut laufende Praxen in Niederuzwil SG, St.Gallen und Zürich betreibt: «Kundinnen und Kunden kommen zunehmend durch Mund-zu-Mund-Propaganda zu mir.» Positive Erfahrungen von Bekannten ermutigen viele, endlich etwas gegen die eigenen Stör-Zonen zu tun.
Hinzu kommt: Die Bevölkerung ist inzwischen allmählich aufgeklärt, wie viel Wahrheit hinter den kursierenden OP-Schauermärchen steckt. Wer sich Fett absaugen lässt, muss nicht mehr notwendigerweise damit rechnen, als faul oder zügellos zu gelten. «Man weiss heute, dass es Fettpolster gibt, die sich nicht wegtrainieren lassen», sagt Linde.
Der neue Tenor: «Warum weiter leiden, wenn man es korrigieren lassen kann?» Vier Prozent der Schweizer Bevölkerung haben «es» schon getan. 550 Millionen Franken gaben sie letztes Jahr dafür aus. Der Trend geht zu «nicht invasiven» Eingriffen. Also ohne Messer: Falten unterspritzen, Botox, Peelings – alles kurz und schmerzlos. «Gefragt sind kleine Korrekturen in der Mittagspause. Anstatt für ein komplettes Facelifting entscheiden sich die Patienten für Botox. Das hält nicht ewig, aber es geht schnell und man sieht nicht, dass was gemacht wurde», erklärt Nikolaus Linde.
Die mit Abstand am meisten gewünschte ästhetische Korrektur in der Schweiz ist das Fettabsaugen. Es lässt sich weder den «nicht invasiven» noch den «invasiven» Eingriffen (Busen-OP, Facelift) klar zuordnen. Für seriöse Ärzte ist die «Lipo» inzwischen Routine.
Haben wir bei uns bald Zustände wie im Körpertuning-verrückten Amerika? «Nein», sagt Linde. «Diese übertriebenen Eingriffe gibt es bei uns nicht. Schweizerinnen wollen bei einer Busen-OP höchstens ein, zwei Körbchengrössen mehr. Auch Schlauchboot-Lippen sind unerwünscht – wenn, dann korrigiert frau eine verhältnismässig zu dünne Ober- oder Unterlippe.»
Fazit der Schweizerischen Gesellschaft für plastische, rekonstruktive und ästhetische Chirurgie: «Ästhetische Eingriffe werden in der Schweiz immer mehr verlangt, die Kundinnen sind immer jünger.» Und das, sind sich die Schönheitsdoktoren einig, ist erst der Anfang.
Doch auch wenn die ästhetische Chirurgie vom Image einer Pfuscher- und Geldmacher-Branche wegkommt – Vorsicht ist nach wie vor geboten. Der Titel Schönheitschirurg ist nämlich immer noch ungeschützt. Viele Ärzte nennen sich Schönheitschirurgen – ohne jegliche chirurgische Erfahrung.