Warum hat die Sphinx keine Nase mehr
Die Sphinx von Gizeh gibt den Gelehrten seit Jahrhunderten Rätsel auf. Neben diversen Fragen über ihre Bedeutung geistern auch die abenteuerlichsten Theorien darüber herum, wie die Sphinx ihre Nase verlor. Alterungsprozess, Naturkatastrophe, Zerstörungswut?
In „Asterix und Kleopatra“, dem zweiten Band der Asterix-Reihe, findet sich die bekannteste Theorie, wieso die Sphinx von Gizeh ihren Kopf nasenlos in die ägyptische Wüste streckt: Der dicke Obelix klettert auf das Bauwerk, um seinen Hund Idefix zu retten, der oben auf dem Kopf der Sphinx feststeckt. Als er sich dabei an die Nase der Statue klammer, bricht diese unter dem Gewicht des kugelrunden Galliers ab. Dumm gelaufen!
Keine natürliche Ursache
Tatsächlich wusste man lange Zeit nicht, wann die Nase verloren ging, geschweige denn wie. Die 20m hohe und 73m lange Löwengestalt mit Menschenkopf befindet sich seit mehr als vier Jahrtausenden an ihrem Platz nahe der Pyramiden. Die meiste Zeit lag „der Vater des Schreckens“, wie die Statue in Ägypten genannt wird, von Sanddünen bedeckt in der Wüste und wurde mehrfach wieder ausgegraben – zuletzt 1926. Witterung und Erosion haben zwar ihre Spuren an dem beeindruckenden Bauwerk hinterlassen, für den Verlust der Nase kommen sie aber kaum in Frage, da andere ähnlich exponierte Teile des Kopfes noch recht gut erhalten sind. Nur der so genannte Zeremonienbart soll den natürlich wirkenden Kräften von Alterung und Gravitation zum Opfer gefallen sein.
Kanonen oder ein Bilderstürmer?
Eine relativ populäre Theorie behauptet, die Statue sei im 18. oder 19. Jahrhundert für Schiessübungen mit Kanonen missbraucht worden; die Verschwörungstheoretiker sind sich allerdings nicht einig, ob der fatale Schuss an die Nase von den damals über Ägypten herrschenden Mameluken oder von Napoleons Invasionstruppen abgegeben wurde. Ein weiterer heisser Kandidat für die zweifelhafte Ehre, die Nase auf dem Gewissen zu haben, ist ein strenggläubiger Derwisch Ende des 13. Jahrhunderts. Die Sphinx wurde im Mittelalter von Teilen der Bevölkerung noch immer als Gott verehrt, was den moslemischen Eiferer so in Rage gebracht haben soll, dass er kurzerhand Hammer und Meissel anlegte. Zumindest berichtet der arabische Historiker Muhammad Al Makrizi im 15. Jahrhundert von einem Mann namens Saim el Dahr, der um das Jahr 1280 für erhebliche Zerstörungen im Gesicht der Sphinx besorgt gewesen sein soll. Ob er tatsächlich gleich die ganze Nase abgeschlagen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit belegen.
Indirekte Beweise
Gesichert sind folgende Fakten: Im 12. Jahrhundert berichtet ein anderer arabischer Historiker wortreich von der Prächtigkeit der Sphinx und erwähnt dabei ausdrücklich auch die Nase, während eine Zeichnung des dänischen Altertumsforschers Frederick Norden von 1755 die Statue bereits ohne Nase zeigt. Bei aller Vorsicht gegenüber den Quellen können wir also sowohl Napoleon als auch seine mamelukischen Widersacher mit ziemlicher Sicherheit freisprechen. Norden zeichnete die nasenlose Sphinx lange vor Napoleons Ankunft in Ägypten. Als zusätzliches Entlastungsindiz kann die Tatsache angefügt werden, dass Napoleon höchste Ehrfurcht vor den Altertümern an den Tag legte und Ägypten als „die Wiege der Wissenschaften und Künste der gesamten Menschheit“ bezeichnete.
Als einziger der Hauptverdächtigen fällt der fanatisch irrlichternde Derwisch exakt ins fragliche Zeitfenster; zusammen mit der doch recht verlässlichen Beschreibung des Historikers Al Makrizi lässt sich die Tat mit einiger Sicherheit also Saim el Dahr zuschrieben. Der soll dafür übrigens von einer aufgebrachten Menschenmenge gelyncht worden sein.
Ob Obelix die Verunstaltung der Sphinx abstreiten würde, ist leider nicht bekannt. Auf die Unterstellung, die Nase sei unter seiner enormen Leibesfülle abgebrochen, wäre seine empörte Antwort aber ganz sicher: „Ich bin nicht dick! Höchstens etwas dick angezogen!“