Im hohen Norden
Islands unbekannte Schätze

Reiseredaktor Christian Bauer tat in Island, was viele Reisende tun: Er jagte von einem Highlight zum nächsten – bis er begriff, dass er alles und doch nichts gesehen hatte. Er drosselte das Tempo – und entdeckte unerwartete Überraschungen.
Publiziert: 11:47 Uhr
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Aktualisiert: 11:51 Uhr
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Die grössten Natur-Highlights Islands sind die donnernden Wasserfälle, wie der Gullfoss im Süden.
Foto: Christian Bauer

Darum gehts

  • Island: Entschleunigung und Naturwunder entdecken, von Vulkanen bis Heidelbeeren
  • Vulkanische Landschaften, heisse Quellen und Gletscher prägen die einzigartige Insel
  • 1300 Kilometer lange Ringstrasse umrundet Island, 20 Walarten in Küstengewässern
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
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Christian BauerReise-Journalist

Das Tal: unscheinbar; das Wetter: mau; mein Happiness-Level: extrem hoch. Ich sitze mitten in Heidelbeerbüschen und stopfe mit blauen Fingern saftige Früchte in mich hinein. In meinem Mund: eine süss-säuerliche Geschmacksexplosion. Dazu steigt mir ein kerniger Duft in die Nase, erdig, markant, mit einer leicht salzigen Note vom fernen Meer. Man könnte diesen Duft einfangen und als Parfum verkaufen.

Um mich herum wölben sich bemooste Frosthügel, die Thufur, die sich wie Tausende winziger Inseln über Island legen. Ich schaue genauer hin – und entdecke eine Miniaturwelt der Moose, Flechten und Heidekräuter, deren Schönheit ich so noch nicht kannte: Moose geformt wie Tannen, Flechten bleich wie Birkenstämme, dazwischen die zarten rosa Blüten des arktischen Thymians. Ein geheimnisvoller, verzauberter Wald, von dem ich keine Ahnung hatte.

In Island sollte man das Tempo rausnehmen

In meinen ersten Tagen hier tat ich, was die meisten Reisenden tun: Ich jagte Islands «Blockbustern» hinterher. Und wer könnte widerstehen? Wasserfälle, über denen Regenbögen tanzen. Vulkane, die feurige Lava speien. Gletscher, die in türkisfarbene Seen kalben. Ein Wunder jagt das nächste, und die Angst, etwas zu verpassen, treibt einen immer weiter. Man parkt, läuft ein paar Hundert Meter, schiesst Hunderte Fotos – und rast weiter. Bis man merkt, dass man alles und doch nichts gesehen hatte.

Und wie ich so dasitze mit meinen blau verschmierten Lippen, wird mir eines klar: In Island muss man das Tempo drosseln. Man muss sich hingeben zum Grossen und zum Kleinen. Daher beschliesse ich, in meinen zehn Tagen nicht die gesamte 1300 Kilometer lange Ringstrasse einmal um die Insel zu fahren, sondern nur den westlichen Bogen von Reykjavík bis zur Stadt Akureyri unter die Räder zu nehmen – und auch so komme ich aus dem Staunen nicht heraus.

Die Geburt der Welt

Denn in Island kann man der Welt beim Werden zuschauen. Kurz vor meiner Reise im August hat der Vulkan Sundhnúkur in der Nähe der berühmten Blauen Lagune mit seiner Lava eine neue Landschaft erschaffen. An vielen Stellen sprudelt kochendes Wasser aus dem Boden, in dessen Dampf sich die stoischen isländischen Schafe wärmen, und man springt mancherorts lässig von Europa nach Amerika. Island liegt auf dem Mittelatlantischen Rücken, der die europäische von der amerikanischen Platte trennt. Und weil es an dieser Bruchzone immer etwas Gerangel gibt, brodelt auf Island das Magma kurz unter der Oberfläche und lässt heisse Quellen sprudeln – deshalb relaxe ich (fast) jeden Tag in einem Thermalbad. Noch so ein Moment des Innehaltens.

Und manchmal zwingt auch das Wetter zur Entschleunigung: Wenn es waagrecht regnet, gibt's nichts Besseres, als eingemummelt in einer flauschigen Wolldecke im Cottage in einem Buch zu schmökern. Vielleicht in der isländischen Edda, die das bunte Treiben der nordischen Götter erzählt: von Odin mit seinen Raben, vom listigen Loki und Thor mit seinem Hammer Mjölnir – Geschichten so rau und ungewöhnlich wie die Landschaft. Und als ich später durch ein vernebeltes Lavafeld mit seinen bizarren Formen wandere, verstehe ich, warum man in Island auch heute noch an andere Welten, an Elfen und verborgene Völker glaubt. Die Urwucht dieser Landschaft ist eben nicht von dieser Welt – nicht das Grosse, genauso wenig das Kleine.

Am letzten Tag, nach vielen Wasserfällen, so mancher Schotterpiste und unzähligen Ausblicken, sitze ich nochmals fast zwei Stunden in den Heidelbeerbüschen und bestaune die von Vulkanen und Gletschern geformte Landschaft – und die Wunderwelt im Moos. Ja, in Island lernte ich die Langsamkeit lieben. 

Island – diese Erlebnisse waren meine Highlights

Die noch warme Lava

In der Nähe des Flughafens hat der Vulkan Sundhnúkur aus einer Erdspalte neue Lava über das Land geschoben. Auf dem Weg zur Blauen Grotte fährt man an dem neuen Gestein vorbei. Wenn der Vulkan wieder aktiv ist, besteht die Möglichkeit, die flüssige Lava aus sicherer Entfernung zu beobachten.

Der heisse Fluss Reykjadalur

Zwischen Reykjavík und der Stadt Selfoss führt die Ringstrasse durch eine Region mit Thermalquellen. Das Highlight ist der warme Fluss Reykjadalur, den man ab dem Ort Hveragerði nach einer Stunde Wanderung erreicht und in dem man herrlich baden kann. Tipp: Vor dem Frühstück aufbrechen, um den Massen zu entfliehen.

Geysir und Gullfoss

Der Geysir, der allen kochenden Fontänen rund um den Globus seinen Namen gab, ist leider erloschen, aber sein kleiner Bruder Strokkur geht etwa alle zehn Minuten in die Luft. Besonders gegen Sonnenuntergang, wenn die Tagestouristen gegangen sind, ein spektakuläres Erlebnis – ebenso wie der nahe donnernde Wasserfall Gullfoss, über dem regelmässig ein Regenbogen zu sehen ist.

Þingvellir – das Rütli Islands

Der Nationalpark Þingvellir ist aus zwei Gründen eindrucksvoll: An diesem Ort tagte ab dem Jahr 930 das Althing, die Versammlung der Volksvertreter, welche Gesetze beschlossen und Gericht hielten. Das Althing gilt als das zweitälteste Parlament der Welt. Ausserdem liegt Þingvellir direkt an der Grabenzone zwischen europäischer und amerikanischer Platte – hier treffen also Welten aufeinander.

Ölkelda, die Sprudelquelle

Auf der Halbinsel Snæfellsnes im Westen, über die sich der gletscherbedeckte Snæfellsjökull-Vulkan erhebt (der bei meinem Besuch zwei Tage im Nebel lag), findet man alles, was man in Island erwartet: Vulkane, Lavafelder, Gletscher, schwarze Strände, Fischerdörfer und heisse Quellen – und ein kleines rotes Rohr im Ort Ölkelda, aus dem kohlensäurehaltiges Wasser direkt aus der Erde sprudelt und das leicht nach Eisen schmeckt. Irgendwie cool!

Auf Islandpferden ausreiten

Am Fusse des Snæfellsjökull-Vulkans liegt der Pferdehof Stóri-Kambur, der Ausritte am Strand und durch die Vulkanlandschaft anbietet. Für ein intensives Erlebnis sollte man die fünfstündige Tour wählen. Für Reit- und Outdoorfans werden auch siebentägige Touren über die gesamte Halbinsel angeboten.

Im warmen Wasser wellnessen

Thermalbäder gibt es viele in Island. Mein Favorit sind die zwei kleinen Thermalbecken in dem Weiler Reykir nördlich der Stadt Sauðárkrókur. Dazu gibt es ein gemütliches Café und einen Campingplatz direkt am Meer, der wenig besucht wird.

Das Heringsmuseum in Siglufjörður

Der Weg nach Siglufjörður, der nördlichsten Stadt Islands, ist lang. Und wenn im Winter die Schneestürme kommen, gibt es tagelang kein Durchkommen – das ideale Setting für Islands berühmteste Krimireihe, geschrieben von Ragnar Jónasson. Schon das ist Grund, mal vorbeizuschauen. Und dann ist da noch das ausgezeichnete Heringsmuseum, das an Originalschauplätzen die Geschichte des Heringbooms erzählt.

Bei den Walen

In den Gewässern um Island tummeln sich bis zu 20 Walarten – insbesondere im Norden sind die Chancen gut, die gigantischen Tiere zu beobachten, beispielsweise beim Whale Watching im Ort Árskógssandur. Tipp: In Árskógssandur kann man sich zudem bei einem Bier-Spa erholen.

Eine Thermaldusche in der Wildnis

In der Region um den vulkanischen See Mývatn sprudelt thermales Wasser aus dem Boden (inklusive grossem Thermalbad). In der Nähe des Wärmekraftwerks Krafla steht mitten in der Landschaft eine Dusche mit warmem Thermalwasser. Sehr witzig. Badehose nicht vergessen.

Das Freilichtmuseum Laufás

Von den Wikingern bis teilweise ins 20. Jahrhundert lebten die Isländer in Torfhäusern, deren Wände aus dicken Torfziegeln erbaut wurden, die perfekt gegen die Kälte isolierten. Im kleinen Museum Laufás bei der Stadt Akureyri kann man ein historisches Gehöft besichtigen.

Island – der kleine Travel Guide

Hinkommen: Edelweiss Air fliegt von Zürich direkt nach Reykjavík und in den Monaten Februar, März, Juli und August auch nach Akureyri im Norden.

Buchen: Der Schweizer Reiseveranstalter Kontiki (Experte für Skandinavien und die arktischen Regionen) bietet eine Vielzahl von individuellen Reisen in allen Jahreszeiten nach Island an. Dazu zählen die klassische Mietwagenrundreise, aber auch entspannte Ferien im Blockhaus oder abenteuerliche Entdeckungen im Hochland.

Rumkommen: Ein Mietwagen ist für die Erkundung Islands unerlässlich. Wer nicht das Hochland im Zentrum Islands erkunden möchte, kommt mit einem normalen PW zurecht. Ein SUV ist in den meisten Fällen nicht notwendig. Nicht wundern: Viele der kleineren Strassen bestehen aus Schotter, die man aber gut mit einem PW befahren kann.

Beste Reisezeit: Island ist eine Ganzjahresdestination. Besonders reizvoll ist der Sommer, wenn es nachts kaum dunkel wird, und der Spätherbst und der Winter, wenn man besonders gut Nordlichter beobachten kann.

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