Darum gehts
In der Schweiz haben Paare zwei- bis dreimal in der Woche Sex – zumindest in den ersten fünf Beziehungsjahren und auf dem Papier. Danach verringert sich die Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs auf zwei- bis viermal pro Monat, soweit die Zahlen, die Umfragen zutage fördern.
Was wirklich in Schweizer Schlafzimmern los ist – oder auch nicht – lässt sich daran nicht ablesen. «Erstens weicht die Normalität vieler Paare vom Durchschnittswert ab», sagt die Sexual-, Verhaltens- und Psychotherapeutin Ines Schweizer (50). «Und zweitens muss uns klar sein: Nirgends wird so oft gelogen wie bei den Themen Sex und Geld.»
Sexlügen in der Beziehung sind häufig
Sogar innerhalb von Beziehungen liegt die Lüge oft mit im Bett. Der Grund: sozialer Druck und mediale Einflüsse. Man nehme das Beispiel des weiblichen Orgasmus. «Hier halten sich Mythen besonders hartnäckig», sagt Ines Schweizer. «In den sozialen Medien kursiert etwa die Behauptung, es gäbe zwei Typen von Frauen: Die einen könnten nur durch zusätzliche Stimulation der Klitoris zum Orgasmus kommen, den anderen gelinge dies allein durch Penetration. So erhält die jüngere Generation den Eindruck, es gäbe zwei Kategorien von Sexualpartnerinnen – und die zweite sei besser», so die Expertin.
Das ist Humbug. «Die Klitoris ist immer involviert, wenn es um den Orgasmus geht. Aber solche Unwahrheiten machen Druck, und es ist immer noch gängig, dass Frauen einen Orgasmus vortäuschen, nur um zu genügen oder um das Gegenüber nicht zu verletzen.»
Diese Paare haben am meisten Sex
Dass Lügen rund um die Sexualität so weit verbreitet sind, rückt auch einige Studienergebnisse in ein neues Licht. So geht aus einer Umfrage des Sanitas Health Forecast hervor, dass Schweizerinnen und Schweizer gerne doppelt so viel Sex hätten. «Seit ich als Sexualtherapeutin tätig bin, sind schon viele Studien mit ähnlicher Aussage herausgekommen. Es ist immer dasselbe: Alle wollen mehr, die wenigsten tun es aber.»
Das sei auch nicht erstaunlich, findet Ines Schweizer. Wunschvorstellung und Realität sind oft nicht vollständig vereinbar. «Mehr Sex zu haben erfordert Initiative, Planung und die Abstimmung mit dem Partner. Bei vielen Paaren scheitert die Umsetzung des Wunsches nach mehr körperlicher Intimität schlicht am Alltag.»
Es sei ausserdem völlig normal, dass die sexuelle Aktivität in der Partnerschaft mit der Zeit nachlasse, so die Expertin. «Je länger eine Beziehung dauert, desto mehr Bindungsverletzungen treten auf. Man hört sich gegenseitig nicht zu, man verletzt sich unbewusst, man streitet über den Alltag. Das sammelt sich mit der Zeit an und ist nicht gerade lustfördernd.» So haben frisch verliebte Senioren, bei denen sich diese Verletzungen noch nicht angesammelt haben, vermutlich mehr Sex als zwei 30-Jährige, die bereits seit zehn Jahren liiert sind.
Sexuelle Lust verschwindet nicht grundlos
In ihrer langjährigen Praxistätigkeit hat sich Ines Schweizer auf die Frage nach der fehlenden Lust in Beziehungen spezialisiert. Sie beobachtet zwei häufigste Gründe für einen Rückgang der Libido:
Lebensumstände und Beziehungsmuster
«Die Lust ist einerseits abhängig von der Beziehung, andererseits vom Alltag. Ich kann nicht erwarten, dass mein Leben total trostlos und freudlos ist und ich im Schlafzimmer nach dem Lichterlöschen – zack! – zum lustvollen Menschen werde. Lust hat viel mit Lebensfreude zu tun.»
Kommunikation
«Sie ist das wichtigste Mittel, um eine emotionale Verbindung zwischen zwei Menschen zu schaffen. Ich erlebe als Therapeutin, dass bei Lustlosigkeit in der Beziehung oft die Kommunikation krankt. Ein tiefer, offener Austausch über Wünsche, Bedürfnisse und emotionale Befindlichkeiten ist nötig, um ungünstige Muster zu lösen.»
Wenig Sex zu haben ist jedoch nicht per se ein Problem. «Wenn beide Partner damit zufrieden sind, einmal im Jahr miteinander zu schlafen, oder auch gar nicht, dann entsteht daraus kein Konflikt. Wenn beide damit wohl sind, ist das überhaupt nicht relevant für die Qualität der Beziehung.» Ein inaktives Sexleben ist also nicht per se ein Problem in einer Partnerschaft – kann jedoch auf Probleme hinweisen.
Mangelnde Libido ist kein Frauenproblem
Wenn sich die Wünsche und Vorstellungen beider Partner nicht vereinbaren lassen oder jemand unter Libidoverlust leidet, macht eine Therapie Sinn. Oft suche die Frau Hilfe, sagt Schweizer. Daraus sei ein Missverständnis entstanden. «Es gibt das Klischee, dass Männer mehr Lust auf Sexualität haben als Frauen. In der Praxis zeigt sich ein differenzierteres Bild: Viele Männer leiden ebenfalls unter einer geringen Libido, sprechen aber seltener darüber und holen weniger oft Hilfe.» Es komme oft vor, dass eine Frau in ihrer Praxis Unterstützung für ihren Partner suche.
Auch psychische oder somatische Erkrankungen können hinter Libidoverlust stecken. Bei Veränderungen ist es ratsam, eine Fachperson zu konsultieren. «Mögliche Ursachen sind vielfältig: Depressionen, hormonelle Veränderungen, Suchtprobleme, Medikamentennebenwirkungen, Traumata oder Krebserkrankungen.»