Darum gehts
Thomas Gottschalk (75) und seine Ex-Frau Thea (79) liessen sich 2024 nach 48 gemeinsamen Jahren scheiden, Bill Gates (69) und Ex-Frau Melinda (61) taten dies 2021 nach 27 Ehejahren und 2023 wurde bekannt, dass Meryl Streep (76) und ihr Ex-Mann Don Gummer (78) nach 45 Jahren ihre Ehe auflösten. Späte Scheidungen sind aber nicht nur in der Welt der Prominenten ein Phänomen, wie Zahlen vom Bundesamt für Statistik BFS belegen.
Der Trend der letzten Jahre zeigt laut Statistik, dass es immer mehr Scheidungen nach langer Ehedauer (20 Jahre und mehr) gibt, während das Scheidungsrisiko in den ersten Ehejahren im Vergleich zu früher gesunken ist. Die durchschnittliche Dauer einer Ehe bis zur Scheidung ist ebenfalls gestiegen und liegt bei etwa 15,7 Jahren (Stand 2023).
Sich erst später scheiden lassen – zum Wohl der Kinder?
Sich erst scheiden lassen, wenn die Kinder erwachsen sind, damit die Kinder weniger leiden – ist das ein sinnvoller Grund für eine späte Scheidung? Prof. Dr. Guy Bodenmann vom Lehrstuhl für klinische Psychologie von Kindern, Jugendlichen, Paaren und Familien an der Universität Zürich erklärt, wie sich späte Scheidungen auf erwachsene Kinder auswirken und wie sie damit am besten umgehen.
Blick: Dass die Scheidung der Eltern für Kinder traumatisch sein kann, ist bekannt. Doch was löst eine Scheidung bei erwachsenen Kindern aus?
Prof. Dr. Guy Bodenmann: Interessanterweise ist die Scheidung der Eltern auch für erwachsene Kinder in den vielen Fällen sehr belastend. Genauso wie unmündige Kinder erleben sie häufig Loyalitätskonflikte, einen schmerzhaften Bruch im Familienskript und eine breite Palette von Gefühlen der Verunsicherung, Traurigkeit oder tiefes Bedauern.
Warum scheiden sich Paare überhaupt erst so spät?
Inzwischen bilden sogenannte «Grey Divorces», also späte Scheidungen nach 25 Ehejahren und mehr, die häufigste Kategorie in westlichen Gesellschaften. Gründe sind oft eine über die Jahre akkumulierte Unzufriedenheit, Ernüchterung oder emotionale Entfremdung. Nach dem Auszug der Kinder oder dem Eintritt ins Rentenalter werden diese Merkmale bewusster wahrgenommen und stärker bewertet. Viele Paare hielten zuvor aus Verantwortungsgefühlen gegenüber den Kindern, finanzieller Abhängigkeit oder sozialem Druck zusammen und verdrängten die Unzufriedenheit. Eine längere Lebenserwartung, veränderte gesellschaftliche Normen und Online-Dating-Plattformen, dank denen leichter ein neuer Partner/eine neue Partnerin gefunden werden kann, steigt die Bereitschaft, im Alter getrennte Lebenswege zu gehen.
Sich erst später scheiden lassen, damit die Kinder weniger leiden – macht das Sinn?
Die Idee, wegen der Kinder zusammenzubleiben, ist weit verbreitet, um ihnen eine stabile Familienstruktur und Sicherheit zu geben, bis sie selbständig sind. Allerdings zeigen Studien unmissverständlich, dass ein chronisch konfliktreiches Familienklima für Kinder oft belastender ist als eine erfolgreich bewältigte Scheidung. Kinder leiden chronisch unter den elterlichen Spannungen. Unabhängig davon, ob diese verbal aggressiv, schwelend oder vermeidend ausgetragen werden. Mit der Scheidung zu warten, bis die Kinder erwachsen sind, ist deshalb meist keine günstige Entscheidung – ausser das Paar unternimmt etwas, um die Beziehungsqualität zu verbessern (zum Beispiel eine Paartherapie).
Ist der Schock bei erwachsenen Kindern sogar noch grösser?
Das kann dann der Fall sein, wenn die Kinder davon ausgingen, dass eine Scheidung bei den eigenen Eltern kein Thema ist und nie werden wird, zumal sie nun schon seit Jahrzehnten zusammen sind und eine nicht wegzudenkende Konstante in ihrem Leben darstellen. Dann kann die elterliche Scheidung in der Tat einen Schock bedeuten. Auch weil die Kinder, wenn sie nicht mehr zu Hause wohnen, das Zerwürfnis nicht mitbekommen haben und überrascht aus allen Wolken fallen.
Wie können erwachsene Scheidungskinder die Trennung der Eltern verarbeiten?
Erwachsene Kinder können die Scheidung der Eltern besser verarbeiten, wenn sie ihre Gefühle wie Schock, Trauer oder Wut zulassen und reflektieren. Hilfreich ist ein offener Dialog mit den Eltern, in dem das eigene Erleben der Situation, Loyalitätskonflikte und allseitige Erwartungen angesprochen werden. Viele profitieren von Gesprächen mit Geschwistern, Freunden oder einer therapeutischen Begleitung, um den Bruch im gewohnten familiären Gefüge einordnen und verarbeiten zu können. Hilfreich kann sein, die Scheidung der Eltern als deren freien, mündigen Entscheid zu sehen, der letztlich für sie stimmen muss und vielleicht auch schon längst fällig war. Eine gesunde Abgrenzung kann helfen, Verstrickungen zu minimieren.
Was sind die grössten Herausforderungen bei der Bewältigung?
Zu den grössten Herausforderungen erwachsener Scheidungskinder zählt oft das fehlende Verständnis von aussen. Die Umwelt nimmt ihre Betroffenheit weniger ernst («Ihr seid doch schon erwachsen») und verkennt, dass die Scheidung der Eltern nicht weniger schlimm erlebt werden kann, nur weil man selbst erwachsen ist.
Werden erwachsene Kinder bei der Scheidung der Eltern oft auch instrumentalisiert?
Erwachsene Kinder geraten bei elterlicher Scheidung oft genauso häufig in die Rolle von Vermittlern, wie jüngere Kinder, wenn sie den Eltern Botschaften überbringen, Konflikte moderieren oder sich positionieren müssen. Nicht selten werden sie als eine Art «Therapeut» in Anspruch genommen, indem Eltern intime Gefühle, Kränkungen oder Schuldzuweisungen bei ihnen abladen und über den anderen Elternteil herziehen, was Loyalitätskonflikte bewirken kann.
Wirkt sich die Scheidung der Eltern auf Liebesbeziehungen ihrer erwachsenen Kinder aus?
Ja, zahlreiche Studien belegen Effekte einer elterlichen Scheidung auf die Partnerschaft von Kindern jeglichen Alters. Das Vertrauen in Verbindlichkeit, Verlässlichkeit und Dauerhaftigkeit von Beziehungen kann geschwächt werden. Manche entwickeln eine Angst vor der Wiederholung der elterlichen Muster. Gleichzeitig berichten andere von einem stärkeren Beziehungsbewusstsein, da sie ihre Partnerschaft bewusst anders als die eigenen Eltern gestalten wollen.