Darum gehts
«Maintenance Sex» nennt der Therapeut, Podcaster und Tiktoker Jeff Guenther alias TherapyJeff das Phänomen: In einer langjährigen Beziehung müsse man hin und wieder aus dem blossen Grund Sex haben, weil man zwei oder drei Wochen keinen hatte. Selbst wenn eine, einer oder im dümmsten Fall beide keine Lust haben. Der Gedanke sei zwar nachvollziehbar, meint Sexualtherapeutin Gabriela Kirschbaum, spezialisiert auf langjährige Beziehungen. Aber er habe ein paar Haken.
Blick: Was halten Sie von «Instandhaltungssex», Frau Kirschbaum?
Gabriela Kirschbaum: Schwierig. Erregung lässt sich nicht auf Knopfdruck einschalten. Die Idee, dass regelmässiger Sex in einer Beziehung Pflicht ist, erzeugt Druck. Ich empfehle meinen Klientinnen und Klienten gerne sogenannte Körperdates.
Was ist das?
Man verabredet sich zu Dates, in denen es um körperliche Berührung geht, aber das Ziel ist nicht Geschlechtsverkehr oder ein Orgasmus. Ein bisschen so wie in der Anfangsphase des Kennenlernens.
Man verabredet sich alle ein bis zwei Wochen, um so zu tun, als ob man sich erst gerade kennengelernt hat?
(Lacht) Nein. Da muss man realistisch sein: Man kann die Anfangsverliebtheit in einer Beziehung nicht über Jahrzehnte aufrechterhalten. Es geht in erster Linie um den Körperkontakt – von dem wir wissen, dass er uns allen guttut. Schon Babys beruhigen sich dadurch am besten. Wie man diese Körperdates gestaltet, ist jedem Paar selbst überlassen.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Ein Klienten-Paar von mir gewöhnte sich an, sich nach der Arbeit aufs Bett zu legen, einander vom Tag zu erzählen, zu streicheln und zu kuscheln.
Dann kuschelt man täglich, aber hat immer noch keinen Sex …
Für viele Frauen sind Emotionen die Quelle für Erregung. Nimmt die Verliebtheit ab, tut das auch die Lust auf Sexualität. Die sexuelle Ebene hängt also stark mit der emotionalen zusammen – und die erreicht man, in dem man miteinander redet oder eben kuschelt, einander streichelt oder zusammen duscht, ohne den Druck, dass mehr passieren muss.
Welche Funktion hat denn Sex in einer Langzeitbeziehung?
Abgesehen davon, dass er guttut und entspannt, ist er in einer monogamen Beziehung das exklusive Erlebnis, das man mit niemand anderem teilt, das wie Kitt Verbundenheit und Nähe schafft und erneuert.
Und dementsprechend wichtig ist. Warum haben wir dann in Langzeitbeziehungen oft so einen «Chnorz» damit?
Weil sich Situationen ändern und Prioritäten verschieben. Paare haben aus unterschiedlichsten Gründen wenig, weniger oder kaum Sex. Meistens hat eine oder einer mehr Lust als der oder die andere, was zu einem Spannungsfeld führt. Kompromisse sind meist nicht zufriedenstellend, deshalb braucht es andere Wege.
Was spricht denn dagegen, dem Partner oder der Partnerin, der oder die mehr Lust hat, mal einen Gefallen zu tun?
Sich mal einen Schupf zu geben, ist nicht falsch – vorausgesetzt, es entsteht dabei auch ein bisschen Freude. Wenn sich jemand ständig überwinden muss und kein wohliges Erlebnis entsteht, führt das zu Abwehr. Miteinander reden, eventuell mit einer Fachperson, kann hilfreich sein. Denn oft besteht in erster Linie ein Kommunikationsproblem.
Was heisst das?
Statt jemanden zu überreden, könnte man nachfragen, woher die Unlust kommt, und die Chance auf ein ehrliches Gespräch ergreifen. Besteht Druck, wieder einmal zu müssen, um den Hausfrieden zu bewahren? Hat jemand Mühe mit körperlichen Veränderungen? Ist es für eine junge Mutter schwierig, kaum Raum für sich selbst zu haben? Fehlt Verständnis, Wertschätzung, Aufmerksamkeit? Wie sieht die emotionale Verbindung aus? Und schliesslich: Was wäre hilfreich, um der körperlichen Anziehung wieder Platz zu verschaffen?
Oft ist man im Alltag einfach zu müde, und die Unlust liegt nicht unbedingt an einer fehlenden emotionalen Verbindung.
Das stimmt. Gerade dann kann es schön sein, sich einfach mal in den Arm zu nehmen oder sich zu streicheln und sich dann die Freiheit zu nehmen, zu sagen, dass man nun lieber schlafen möchte. Nur weil man nicht mehr wöchentlich voller Leidenschaft übereinander herfällt, heisst das nicht, dass man kein gutes Sexleben hat als Langzeitpaar.
Bedeutet umgekehrt ein intaktes Sexualleben eine erfüllte Beziehung?
Nein. Sexualität ist nur eine Form von Intimität, zudem gibt es viele andere wichtige Themen in einer Beziehung. Es gibt diverse andere Ebenen, auf denen es nicht stimmen kann.
Ihre wichtigsten Tipps für Sexualität in Langzeitbeziehungen?
Erfahrungsgemäss sind es eher Frauen als Männer, die weniger Lust haben, auch wenn das natürlich ein Klischee und nicht immer so ist. Aber ich würde die Frauen dazu anhalten, sich hin und wieder auf etwas einzulassen, bereit dafür zu sein, gemeinsam Neues zu entdecken, und dabei die Freiheit zu nutzen, zu sagen, wie weit und was in der Begegnung gerade gut für sie ist. Und bei den Männern plädiere ich dafür, keinen Druck auszuüben, den Frauen Raum zu lassen und Körperlichkeit ohne Erwartungen zuzulassen. Wer A sagt, muss nicht zwingend immer B sagen.