Künstliche Intelligenz im Schulalltag
«Die Grenze ist da, wo kein eigener Denkprozess mehr stattfindet»

Zum Schulstart macht vielen Eltern das Thema KI grosse Sorgen. Ist KI Fluch oder Segen? Auf jeden Fall ist sie Realität. Zwei Medienfachpersonen der Swisscom erklären, was erlaubt ist, wo Gefahren lauern und wie Eltern einen klugen Umgang mit KI fördern können.
Publiziert: 17:08 Uhr
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Darum gehts

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Sylvie KempaRedaktorin Service

Kommt Zeit, kommt KI

Andrea Burkhard: «Die zauberhafte Seite von KI kann man Kindern früh zeigen und gleichzeitig analoge Fähigkeiten fördern. Mein Sohn ist im Kindergarten. Wir nutzen KI, um seine Drachenzeichnungen zu animieren. Im schulischen Kontext wird das Thema ungefähr ab der vierten Klasse relevant. Ich weiss, dass zurzeit entsprechende Lehrmittel in Überarbeitung sind – nicht nur im Fach Medien und Informatik, sondern fächerübergreifend.»

Michael In Albon: «Ungefähr ab der Mittelstufe können Kinder eine kritische Haltung entwickeln. Eine gute Übung dazu: Man bittet ein Sprachmodell, ein Bild zu einem Schulthema zu erstellen – etwa von einem römischen Haushalt. Dann vergleicht man gemeinsam mit dem Geschichtsbuch: Stimmt das Bild? Der Lerneffekt liegt im Abgleich. So merken Kinder, dass Mitdenken und Vorwissen nötig sind, um KI-Aussagen richtig einzuordnen.»

Andrea Burkhard ist Programmmanagerin für Medienkompetenz-Angebote der Swisscom. Als Mutter hat sie einen alltagsbezogenen Blick auf den sinnvollen KI-Einsatz beim Lernen.
Foto: Franziska Frutiger

Top-Prompt, Top-Antwort

Michael In Albon: «KI kann beim Lernen wirklich hilfreich sein – besonders wenn es darum geht, komplexe Themen zu verstehen. Aber der Prompt ist entscheidend. Eine Kompetenz, die Kinder lernen müssen. Eltern und Lehrpersonen können mutig mit den Kindern experimentieren.»

Andrea Burkhard: «Je mehr Vorwissen ich für einen guten Prompt mitbringe, desto besser. Wenn ich bereits weiss, zu welchem Aspekt eines Themas ich Inspiration brauche, für welche Altersstufe eine Antwort verständlich sein muss oder wie umfangreich sie sein soll, liefert KI schneller ein brauchbares Resultat.»

Wo beginnt das Plagiat?

Michael In Albon: «Ist etwas, das ich mit Unterstützung von KI erstellt habe, eine Eigenleistung? Ja und nein. Ich erkläre das gern anhand der Wissenschaft: Wenn man dort Ideen anderer nutzt, muss man sie zitieren. Bei KI sollte man das genauso handhaben. Wenn ich mir eine Struktur oder Idee hole, sollte ich das deklarieren und die Texte immer in eigenen Worten ausformulieren. Einfach Texte von KI kopieren ist wie abschreiben. Die Grenze ist dort, wo kein eigener Denkprozess mehr stattfindet.»

Andrea Burkhard: «Es kommt auch immer darauf an, in welchem Kontext man sich von KI helfen lässt. Eine Rechtschreibkontrolle muss man in einem Bewerbungsschreiben nicht angeben. Nutze ich sie hingegen für eine Deutschaufgabe, kann die Lehrperson nicht mehr beurteilen, wie es wirklich um meine Orthografie steht. Darum muss man jeden Einsatz neu abwägen. Kinder lernen, wie das geht, indem wir Eltern sie nicht einfach machen lassen, sondern sie dabei begleiten und beraten.»

Doch nicht so schlau

Andrea Burkhard: «KI wirkt allwissend – dabei macht sie erstaunlich viele Fehler. Studien zeigen, dass Sprachmodelle je nach Aufgabe gern auch falsche Antworten liefern. Um zu verstehen, warum das passiert, muss man wissen, wie KI funktioniert. Chatbots sind nicht wirklich intelligent. Sie denken nicht selbst, sondern berechnen lediglich Wahrscheinlichkeiten. Und sie sind nicht darauf programmiert zu sagen: ‹Ich weiss es nicht.› Stattdessen behaupten sie manchmal einfach etwas – ohne Hand und Fuss. Man nennt das Halluzination. Darum gilt: Alles, was von KI kommt, muss mit Verstand geprüft werden.»

Michael In Albon: «Es ist sogar für Erwachsene oft schwer zu erkennen, wenn ein Chatbot Unwahrheiten behauptet. Aber es gibt ein paar gute Übungen, um das sichtbar zu machen – gerade für Kinder. Fragt einen KI-Bildgenerator zum Beispiel, ein Bild von einer Frau zu erstellen, die mit der linken Hand schreibt. Meistens zeigt das Resultat eine Rechtshänderin, weil solche Bilder häufiger vorkommen. Solche Tests helfen Kindern und Jugendlichen, ein kritisches Bewusstsein zu entwickeln. Wer mehr Ideen sucht: Im Netz findet man viele Aufgaben und Prompts, an denen KI-Sprachmodelle zuverlässig scheitern.»

Michael In Albon ist Jugendmedienschutz-Beauftragter sowie Medienkompetenz-Experte der Swisscom. Fragen um KI beschäftigen ihn als Vater und als Präsident der Bildungskommission in Jegenstorf BE.
Foto: Franziska Frutiger

Mensch vor Maschine

Andrea Burkhard: «Was KI-Sprachmodelle nicht können: eine persönliche Note in einen Text einfliessen lassen. Wenn man also mit elektronischer Hilfe einen Text erstellen will – sagen wir einen Aufsatz oder ein Bewerbungsschreiben –, finde ich es sinnvoll, eine erste Version davon in eigenen Worten zu verfassen. KI kann auf dieser Basis stilistische oder inhaltliche Verbesserungsvorschläge machen. So erhält man einen Text, der spannend tönt, aus der Reihe tanzt oder witzig ist. Dieser Charme fehlt KI-generierten Inhalten.»

Michael In Albon: «Stimmt. Texte von KI tönen oft steril. Man erkennt sie am Tonfall, der sich aus unnötig gesetzten Adjektiven und passiven Formulierungen ergibt. Oder am deutschen Doppel-S, wenn nicht explizit Schweizer Rechtschreibung verlangt wurde. Das alles in eine persönlichere Sprache umzuwandeln oder bei einem Vortrag auch noch inhaltlich auf seine Richtigkeit zu kontrollieren, ist sehr aufwändig. Es ist sinnvoll, dass nicht die Maschine den Anfang macht, sondern man selbst eine erste Textidee oder eine Recherche in einen Prompt packt.»

Datenschutz? Intransparent!

Michael In Albon: «In der aktuellen James-Studie zur Mediennutzung in der Schweiz zeigt sich, dass fast drei Viertel der Jugendlichen regelmässig KI-Tools nutzen. Bei jungen Menschen beliebt sind Anwendungen wie My AI auf Snapchat. Dieses Tool gibt Ratschläge in allen Lebenslagen und wird deswegen oft für sehr persönliche Fragen genutzt. Hier wirds heikel: Was du eingibst, bleibt für immer gespeichert – irgendwo ausserhalb der Schweiz, wo andere Gesetze gelten.»

Andrea Burkhard: «Die Studie zeigt auch: Wer KI-Tools häufiger einsetzt, hat ein immer grösseres Vertrauen in sie. Schulen und Eltern sollten diesbezüglich wachsam bleiben. Unsere Kinder müssen verstehen, dass KI kein Mensch ist – und auch kein Freund. Daten, die ich niemals eingeben würde, sind alle persönlichen Angaben wie mein Name, mein Geburtsdatum oder meinen Wohnort. Man sollte auch keine Passwörter, Ausweisnummern oder medizinischen Einzelheiten preisgeben. Dies gilt ebenfalls für Daten von Drittpersonen.»

Getestet: Gut!

Andrea Burkhard: «Wir nutzen zu Hause die App Cabuu für französische Vokabeln. Man scannt die entsprechende Seite im Schulbuch, dann übernimmt KI: Sie gestaltet den Lernprozess und übernimmt das Abfragen der Wörtli über verschiedene Sinne. Dabei passt sich die App dem Lerntempo des Kindes an.»

Michael In Albon: «Ich finde die App Photomath cool. Sie kann mathematische Aufgaben via Smartphone-Kamera lösen, präsentiert jedoch nicht nur das Ergebnis, sondern erklärt auch den Lösungsweg. Das funktioniert sowohl mit gedruckten Aufgaben wie auch mit handschriftlichen Notizen.»

Noch Fragen? Antworten gibts auf dem Swisscom Campus der Onlineplattform zur Förderung von Medienkompetenz. Eltern finden dort Leitfäden, Infoanlässe und aktuelle Beiträge zu digitalen Themen wie Bildschirmzeit, Cybermobbing oder Gaming.

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