Darum gehts
Als Bruno Wermuth (61) Ende der 90er-Jahre Vater wurde, wollte er die Geburt miterleben und sich aktiv an der Erziehung seines Sohnes beteiligen. «Mit meinen Papatagen war ich damals noch ein Exot.» Heute ist es normal.
Das führt jedoch auch zu Druck, gerade was die Geburt angeht. «Die gesellschaftliche Erwartung ist so hoch, dass Männer kaum noch sagen, wenn sie eigentlich nicht dabei sein wollen», sagt Andrea Messer (46), leitende Hebamme der Frauenklinik am Berner Inselspital.
Ein Ort, an dem werdende Väter ihre Ängste rund um Geburt und Vaterrolle offen besprechen können, ist ein exklusiver Männerabend im Geburtsvorbereitungskurs am Inselspital Bern. Dort tauchen fünf Fragen besonders häufig auf.
«Muss ich bei der Geburt dabei sein?»
In jeder Männersequenz steht diese Frage im Raum – allerdings stammt sie selten von den Teilnehmenden. «Ich frage die Männer, ob sie sich überlegt haben, nicht im Gebärsaal dabei zu sein», erklärt Wermuth. «In 18 Jahren habe ich nur dreimal erlebt, dass ein Mann sagte, er würde die Geburt lieber nicht miterleben.»
Anzunehmen ist, dass Männer, die der Geburt aus kulturellen Gründen fernbleiben möchten, auch nicht an einem Geburtsvorbereitungskurs teilnehmen. Das sei in Ordnung, sagt Messer. «Einen Mann in den Gebärsaal zu zwingen, finde ich falsch.»
Frauen, die sich Begleitung wünschen, haben die Möglichkeit, Freundinnen, Familienmitglieder oder Doulas – das sind nichtmedizinische Helferinnen – mitzunehmen. «Auch mehrere Begleitpersonen sind willkommen – sofern es der Platz zulässt.»
«Was ist meine Rolle im Gebärsaal?»
Oft haben die Partnerinnen klare Vorstellungen, sagt Bruno Wermuth. Manche Männer sagen: «Sie wünscht sich dies und verbietet mir jenes. Wie kann ich mich überhaupt einbringen?»
Häufig bitten Frauen ihre Partner auch, im Notfall für ihre Wünsche einzustehen. Diese Verantwortung beschäftigt viele Väter intensiv, so Wermuth. Sie fragen sich: «Was, wenn meine Frau kaum ansprechbar ist und ich mich über ihre Wünsche – etwa keine Periduralanästhesie zu wollen – hinwegsetze?» Es sei wichtig, solche Fragen als Paar frühzeitig zu besprechen. Nicht jeder muss alles aushalten oder leisten, betont Wermuth.
Im Spital achte man darauf, Männer in schwierigen Situationen nicht allein zu lassen, ergänzt Andrea Messer. Aber manchmal müsse es sehr schnell gehen, dann sei Zurückhaltung wichtig: «Schwierig wird es, wenn Männer mit gegoogeltem Halbwissen mitreden. Sie dürfen darauf vertrauen, dass für das medizinische Personal die Gesundheit von Mutter und Kind an oberster Stelle steht.»
«Was, wenn ich dabei an meine Grenzen komme?»
Szenen während der Geburt können belastend sein – in manchen Fällen traumatische Folgen haben. «Wir erwarten von keinem Mann, dass er die Nabelschnur durchtrennt oder hinschaut, wenn der Damm reisst», sagt Messer. «Eine Frau muss das Kind auf die Welt bringen – biologisch ist das so vorgegeben. Ein Mann muss das nicht.»
Auch Wermuth rät werdenden Vätern, ihre eigenen Grenzen ernst zu nehmen. «Wenn ich weiss, dass ich sensibel auf Blut oder Wunden reagiere, bleibe ich im Gebärsaal besser am Kopfende.»
Und wenn es zu viel wird? «Es ist absolut okay, rauszugehen», sagt Messer. Ziel sei es auch, «dass ein Paar später nicht unter unschönen Geburtsbildern leidet – etwa in der Sexualität.»
«Wie bleiben wir als Eltern ein Liebespaar?»
Der Übergang vom Paar zur Familie ist einschneidend – auch in Bezug auf körperliche Nähe. «Viele Männer fragen: Wann gehen Zweisamkeit und Sex wieder?», sagt Bruno Wermuth.
Manche Paare finden rasch zueinander zurück, andere brauchen mehr Zeit. Wichtig sei, die Paaridentität bewusst zu pflegen. Wermuth rät: «Schreibt vor der Geburt je drei Dinge auf, die euch an der Beziehung so wichtig sind, dass ihr sie nicht verlieren wollt. Und haltet sie nach der Geburt lebendig – bewusst, regelmässig.» Er empfiehlt auch, früh ein bis zwei enge Bezugspersonen für das Kind zuzulassen, um weiterhin Paarzeit zu ermöglichen.
«Habe ich die Arschkarte gezogen?»
«Viele Väter tragen die finanzielle Hauptverantwortung für die Familie», sagt Wermuth. «Ein halber oder ganzer Papatag pro Woche – mehr liegt für die meisten nicht drin.» Das führe zu innerer Zerrissenheit: «Einige fühlen sich, als hätten sie die Arschkarte gezogen. Die Vaterschaft so auszuleben, wie sie es möchten, liegt nicht drin. Gleichzeitig fehlt die Wertschätzung für die Belastung, die mit der finanziellen Verantwortung einhergeht.»
Wermuth wünscht sich ein gesellschaftliches Umdenken: «Es braucht Strukturen, in denen echte Gleichberechtigung möglich ist – damit jedes Paar sein Familienleben so gestalten kann, wie es für beide stimmt.»