Darum gehts
Weit weg in die Ferien! Davon träumt der zehnjährige Nick aus Zürich schon lange. Doch die Reise blieb ein Traum, denn der Viertklässler hatte «richtig grossen Respekt» vorm Fliegen. So gross, dass er ein Flugangstseminar für Kinder am Flughafen Zürich besuchte.
Geleitet werden diese Kurse von Tom Schneider (49), der seit über 20 Jahren als Linienpilot arbeitet – und mindestens genauso lange Menschen mit Flugangst begegnet. «In der westlichen Welt fühlt sich rund ein Drittel der Menschen beim Fliegen unwohl», sagt Schneider. «Und das betrifft alle: Vielflieger, Urlauber, Geschäftsreisende – und immer öfter auch Kinder.»
So entsteht Flugangst
Zu Beginn lässt Schneider die Jugendlichen ihre Flugangst bewerten. «Auf einer Skala von null bis zehn stufte ich meine Angst mit einer 8 sehr hoch ein», erzählt die elfjährige Teilnehmerin Emily.
Die Ursache für Flugangst ist immer ähnlich: Betroffene leiden in erster Linie unter dem Gefühl des Kontrollverlusts. «Die Statistik belegt zwar, dass ein Flugzeug eines der sichersten Verkehrsmittel der Welt ist, aber Zahlen allein beruhigen niemanden», sagt Tom Schneider. «Wenn einem das Wissen fehlt, wie Fliegen überhaupt funktioniert, fühlt es sich trotzdem an, als hätte man keine Kontrolle.»
Auch die sozialen Medien spielen eine Rolle, warum Flugangst auch bei Kindern und Jugendlichen zunimmt. «Kein Kind wird mit Flugangst geboren», sagt Schneider. Sie entsteht aus zwei Gründen: Weil Erwachsene ihr eigenes Unbehagen unbewusst auf ihre Kinder übertragen. Und weil auf Pausenplätzen Videos kursieren, in denen Turbulenzen oder vermeintliche Notlandungen dramatisch inszeniert werden. «Angst ist ein wichtiges Gefühl. Es ist dafür da, uns zu schützen. Aber es beruht oft auf Falschinformationen oder fehlendem Wissen. Wenn mit reisserischen Bildern Angst gemacht wird, können Kinder das nicht einordnen.»
Im Flugangstseminar will Tom Schneider genau diese Kompetenz vermitteln – für Kinder verständlich, greifbar und bildlich. Er setzt dabei auf einfache Vergleiche. Wenn er erklärt, wie ein Flugzeug in der Luft bleibt, spricht er nicht von Auftrieb und Strömungsmechanik. Er spricht von etwas Vertrautem: Wasser. «Luft verhält sich in der Strömungslehre sehr ähnlich wie Wasser. Durch diesen Vergleich wird das Unsichtbare sichtbar.»
Bei Nick war das der entscheidende Moment: «Als der Kursleiter die Luft mit einem Wasserstrom verglich, wurde mir plötzlich klar, dass ein Flugzeug unsichtbar getragen wird und nicht einfach so herunterfallen kann wie ein Stein.»
Auch andere Ängste werden im Seminar angesprochen: Turbulenzen, sogenannte «Luftlöcher» oder sogar Triebwerksausfälle. Schneider räumt mit allen Mythen auf: «Luftlöcher gibt es nicht.» Turbulenzen seien nichts anderes als Bewegungen in der Luft – unangenehm, aber harmlos. Und selbst bei einem Triebwerksausfall – ein extrem seltenes Szenario – sei das Flugzeug nicht automatisch in Gefahr. «Jedes System hat zwei bis drei Back-ups. Flugzeuge sind für solche Eventualitäten gebaut.»
Für Emily liegt hier der Schlüssel, um die Angst zu besiegen. «Beeindruckt hat mich vor allem, dass eine ausgetüftelte Technik hinter dem Fliegen steckt», sagt sie. «Der Besuch im Cockpit war super – die vielen Knöpfe und die Information des Piloten, dass alles sehr logisch und nicht kompliziert angeordnet ist. Ich kann mir jetzt viel besser vorstellen, warum Fliegen als so sicher gilt.»
Im zweiten Teil des Seminars geht es raus – zu einem Flugzeug. Bei der Begehung zeigt Schneider, wie ein Pilot vor jedem Start seinen Sicherheitscheck durchführt. Dabei sehen die Kinder, wie viele Kontrollen es gibt und auf welche Details die Flugzeugmechaniker achten, bevor ein Flugzeug starten darf. «Wo Menschen arbeiten, können Fehler passieren», sagt Schneider. «Aber genau deshalb gibt es in der Luftfahrt ein engmaschiges System aus doppelten und dreifachen Absicherungen.»
So fühlen sich Betroffene nach dem Seminar
Für viele Kinder, die am Kurs teilnehmen, ist das der erste Moment, in dem sie ein Flugzeug nicht mehr als mysteriöse Bedrohung wahrnehmen, sondern als spannendes Objekt, das sie zu verstehen beginnen. «Hier schliesst sich der Kreis: Wissen nimmt die Angst», sagt Schneider. «Denn es schafft ein Gefühl der Kontrolle.»
In den meisten Fällen verschwinde die Flugangst schon nach einem Seminar, sagt Tom Schneider. Ganz oder teilweise: «Nach dem Seminar bin ich auf der Flugangstskala bei einer 2 angelangt. Darüber bin ich sehr froh», sagt Emily. Auch bei Nick hat es funktioniert. Nach dem vierstündigen Kurs ist er fröhlich und aufgekratzt und sagt auf der Heimreise zu seinen Eltern: «Am liebsten würde ich direkt ins nächste Flugzeug steigen und abheben.»