Acht Erziehungsmuster, die Kindern schaden
Eltern wollen zu viel richtig machen

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht: Wenn Eltern zu viel richtig machen wollen, kann das Kindern schaden. Eine Familienexpertin erzählt aus ihrer Praxis und erklärt, welche Erziehungsmuster heute besonders oft in diese Falle führen.
Publiziert: 14:08 Uhr
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Aktualisiert: 15:47 Uhr
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Darum gehts

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Sylvie KempaRedaktorin Service

Die Welt ist digitaler und gleichberechtigter denn je – für Eltern nicht nur eine Chance, sondern auch eine Herausforderung. «Elternsein war noch nie so frei und fordernd zugleich», sagt Nadja Reutemann (51). Die Familienberaterin beobachtet in ihrer Praxis immer mehr Mütter und Väter, die sich intensiv mit dem Wohl ihrer Kinder und der eigenen Rolle auseinandersetzen. Dabei schleichen sich Erziehungsmuster ein, die nicht halten, was sie versprechen.

Nur Glück fürs Kind

«Viele Eltern wollen ihre Kinder glücklich machen und erfüllen ihnen jeden Wunsch. Doch das ist nicht ihre Aufgabe», sagt Nadja Reutemann. «Erziehung bedeutet, einem Kind auch einen gesunden Umgang mit Streit, Frust, Wut und Trauer vorzuleben.» Wer schwierige Gefühle vermeidet, verhindert wichtige Lernerfahrungen. «Ein Kind, das nie lernt, mit schwierigen Emotionen umzugehen, kann das auch im Erwachsenenalter nicht.» Das wahre Glück für Kinder sei emotionale Sicherheit. «Sie entsteht, wenn wir erfahren, dass unsere Gefühle in Ordnung sind – und lernen, damit umzugehen.»

Risiken vermeiden

«In meiner Praxis erzählte mir einmal ein Mädchen, dass es den Kletterturm neben seinem Haus nicht benutzen darf, weil die Eltern einen Unfall fürchten», sagt Nadja Reutemann. «Als Mutter verstehe ich die Sorge. Aber: Ein Armbruch heilt – fehlendes Selbstvertrauen nicht.»
Risikokompetenz entwickeln zu dürfen, gehört zu einer gesunden Kindheit. So gehts: «Frag dein Kind: Traust du dir das zu? Wenn es Ja sagt, lass es Dinge ausprobieren.»

Erziehung sei noch nie so herausfordernd gewesen wie heute, sagt Nadja Reutemann. «Zwischen Beruf, Care-Arbeit und ständiger Erreichbarkeit geraten viele unter Druck.»
Foto: Getty Images

Wünsche mit Bedürfnissen verwechseln

Wer bedürfnisorientiert erziehen will, tappt oft in die Falle der permissiven Erziehung. «Ich sehe kleine Kinder, die im Winter in kurzen Hosen herumlaufen, weil sie alleine entscheiden dürfen, was sie anziehen», sagt Reutemann. Kurze Hosen zu tragen, ist jedoch kein Bedürfnis, sondern ein Wunsch. Das wahre Bedürfnis des Kindes ist in diesem Fall, gesund zu bleiben. «Wer eine Wahlmöglichkeit anbieten möchte, kann eine passende Vorauswahl treffen.»

Langeweile verhindern

Viele Kinder wissen gar nicht, dass sie kreative Fähigkeiten haben, weil sie ständig abgelenkt sind, beobachtet Reutemann. «Sobald Kindern langweilig ist, zücken wir den Bildschirm – im Restaurant, im Zug, sogar im Kinderzimmer. Das funktioniert kurzfristig. Aber auf Dauer lernen Kinder weder, ihre Gefühle zu regulieren, noch ihr ganzes Potenzial kennen.» Langeweile sei ein Geschenk: eine Möglichkeit, eigene Stärken und Interessen zu entdecken.

Hilfe statt Liebe anbieten

«Viele Eltern tun heute alles für ihr Kind – in der Hoffnung, dass es sich behütet und geliebt fühlt», sagt die Expertin. «Ich habe einmal einen Jungen betreut, der in der sechsten Klasse noch nicht Schuhe binden konnte, weil seine Eltern ihm das immer abgenommen hatten.» In der Schule war das ein Problem, er wurde gehänselt. Kindern etwas zuzumuten, sei der bessere Weg, so Reutemann. «Liebe zeigt sich nicht durch ständiges Helfen, sondern durch Vertrauen. Kinder brauchen Raum, um selbständig zu werden – auch wenn nicht immer alles perfekt läuft.»

Lob mit Nebenwirkungen

Positives Feedback ist immer gut – oder? Reutemann widerspricht: «Wenn ein Kind zeichnet, sagen viele reflexartig: Das ist super!» Dieser harmlose Satz kann dazu führen, dass das Kind beim nächsten Mal wieder dieselbe Reaktion erreichen will. Es konzentriert sich auf das Resultat statt den Prozess. Das sei schädlich. «Steht das Ergebnis im Vordergrund, trübt das auf Dauer die natürliche Neugier und Freude.» Wertschätzung für das Bemühen zu äussern, sei fördernder als Resultate zu bewundern.

Anstatt die Kinderzeichnung als Resultat zu loben, können Eltern dem Kind vermitteln, wie schön sie seine Begeisterung fürs Zeichnen finden, sagt Nadja Reutemann. «Kinder wollen nicht gelobt werden, sie wollen sich gesehen fühlen.»
Foto: Getty Images

Aus Nein wird Ja

Nachsicht, schlechtes Gewissen oder Angst vor Konflikten – wenn ein Kind etwas will, gibt man gerne nach. Ein Fehler, sagt Nadja Reutemann: «Wenn man erst Nein sagt und dann doch Ja, erlebt das Kind unterbewusst einen Verlust von Sicherheit. Es lernt: Auf das, was Mama oder Papa sagen, ist kein Verlass.» Sie rät: Grenzen setzen und konsequent vertreten. «Wenn ihr euch nicht sicher seid, sagt lieber von Anfang an Nein.»

Rollenumkehr im Alltag

Kürzlich in Nadja Reutemanns Praxis: Eine Mutter bringt ihren quirligen, lauten Sohn zur Abklärung. «Rasch war klar: Mit dem Kind stimmt alles – aber ihr geht es nicht gut. Kinder sind nie das Problem, sie zeigen es nur.» Emotional überforderte Eltern übertragen unbewusst Verantwortung: Kinder versuchen dann, Stimmungen zu regulieren und ihre Eltern aufzuheitern. «Diese Rollenumkehr sehe ich immer häufiger – ein klares Zeichen elterlicher Überforderung.» Reutemann rät hier zu professioneller Unterstützung: «Wer sich selbst hilft, entlastet sein Kind – und lässt es einfach Kind sein.»

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