Parallel Parenting
Wie Erziehung trotz zerstrittener Eltern klappt

Was tun, wenn ein Ex-Paar nach der Trennung nur noch streitet, die Kinder aber beide Elternteile brauchen? Familienberaterin Anna-Katharina Bagemiel-Bless erklärt, warum Parallel Parenting der erste Schritt zu mehr Frieden ist.
Publiziert: 14:12 Uhr
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Aktualisiert: 15:54 Uhr
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Wenn Eltern nach einer Trennung nicht mehr miteinander reden können, hilft Parallel Parenting.
Foto: Shutterstock

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Maja ZivadinovicFreie Journalistin Service-Team

Wenn sich Eltern trennen, leiden Kinder oft am meisten. Vor allem, wenn jedes Aufeinandertreffen im Streit endet. Ist die Situation zwischen Ex-Paaren so verfahren, dass sie kein anständiges Wort mehr miteinander wechseln können, kann Parallel Parenting helfen: Die Erziehungsberechtigten kümmern sich getrennt, aber gleichberechtigt, mit klaren Regeln um ihr Kind.

Familienberaterin Anna-Katharina Bagemiel-Bless erklärt, warum diese Form des Erziehens Familien Frieden bringt, wann sie sinnvoll ist und weshalb Funkstille manchmal das Beste fürs Kind ist.

Blick: Frau Baemiel-Bless, was halten Sie von Parallel Parenting?
Anna-Katharina Bagemiel-Bless: Ich halte Parallel Parenting für ein sehr wertvolles Modell, wenn eine Trennung oder Scheidung von starken Konflikten begleitet ist. Es ermöglicht, dass beide Elternteile präsent im Leben der Kinder bleiben, ohne dass die Kinder den Streit miterleben müssen. Besonders hilfreich ist es, wenn Eltern bewusst sagen: «Wir schaffen es gerade nicht, respektvoll miteinander im Austausch zu sein – aber wir wollen beide für unser Kind da sein.» Parallel Parenting kann eine gute Übergangslösung sein, bis wieder mehr Kooperation und vielleicht sogar Co-Parenting möglich wird.

Wird diese Form in der Schweiz rege gelebt?
Ja, Parallel Parenting wird in der Schweiz tatsächlich häufig gelebt. Oft geschieht das unbewusst: Eltern schaffen es nicht, im Austausch zu bleiben, und erziehen deshalb automatisch nebeneinander her. Seltener wird es klar abgesprochen – dann gelten aber feste Strukturen, zum Beispiel bei Übergaben oder in der Kommunikation. Wichtig ist: Parallel Parenting bedeutet nicht, dass man gemeinsame Regeln für Erziehungsstile finden muss. Jeder Elternteil entscheidet in seiner Zeit eigenständig – und gerade das entlastet die Kinder, weil die Konflikte aus ihrem Alltag verschwinden.

Welcher Art Ex-Paar würden Sie zu Parallel Parenting raten?
Ich lege diese Form Eltern ans Herz, die beide für ihre Kinder präsent bleiben wollen, aber nicht in der Lage sind, respektvoll miteinander zu kommunizieren. Für die Kinder ist es besser, wenn Mama und Papa nebeneinander für sie da sind, als wenn es ständig Streit gibt. Voraussetzung ist natürlich, dass die Kinder bei beiden Elternteilen sicher aufgehoben sind.

Anna-Katharina Bagemiel-Bless ist Eltern- und Familienberaterin, Paarberaterin und Life Coachin mit eigener Praxis in Luzern.
Foto: zVg

Wie kann man Kindern Parallel Parenting erklären?
Das hängt stark vom Alter ab. Grundsätzlich gilt: Kinder spüren Konflikte sehr genau und verstehen oft mehr, als wir denken. Man könnte einem Schulkind zum Beispiel sagen: «Mama und Papa leben nicht mehr zusammen. Deshalb bist du manchmal bei Mama und manchmal bei Papa. Wir reden im Moment nicht viel miteinander, aber das hat nichts mit dir zu tun. Wir beide lieben dich und sind für dich da.» Kinder akzeptieren Unterschiede meist gut, solange sie spüren, dass sie bei beiden willkommen und geliebt sind.

Was müssen Eltern beachten und woran müssen sie sich halten, wenn sie Parallel Parenting leben?
Es braucht ein paar klare Rahmenbedingungen. Wichtig ist, dass es keine Abwertungen des anderen Elternteils vor dem Kind gibt – das Kind darf niemals zwischen den Fronten stehen. Absprachen zu Übergaben, Terminen oder Arztbesuchen sollten zuverlässig sein. Kommunikation beschränkt sich auf das Nötigste, faktenbasiert und ohne Sticheleien. Wenn das nicht gelingt, kann eine neutrale Drittperson Informationen weiterleiten. Es gibt auch digitale Möglichkeiten – zum Beispiel spezielle Apps, über die Eltern Fakten austauschen können, damit sie nicht in einen direkten Konflikt geraten. So halten sie das Kind aus den Spannungen heraus.

Ist Parallel Parenting über lange Zeit hinweg überhaupt realistisch?
Ja, es ist möglich, auch über längere Zeit. Häufig ist es aber als Übergangsmodell gedacht, bis sich die Wogen etwas geglättet haben. Manche Ex-Paare praktizieren es länger, andere finden irgendwann zurück zu einem kooperativeren Modell. Wichtig ist, dass die Kinder erleben, dass beide Elternteile verlässlich für sie da sind.

Ist ein Kontaktverbot zwischen Erziehungsberechtigten überhaupt sinnvoll?
Nein, das halte ich nicht für sinnvoll. Wichtige Informationen wie Krankheit oder schulische Angelegenheiten sollten immer weitergegeben werden – aber kurz, faktenbasiert und kommentarlos. Wenn selbst das schwierig ist, kann eine neutrale Drittperson oder eine App die Kommunikation übernehmen. So bekommen beide Eltern die relevanten Informationen, ohne dass neue Konflikte entstehen.

Wie können komplett zerstrittene Paare nach einer Trennung/Scheidung einen Weg finden, um wenigstens als Eltern ein Team zu werden?
Parallel Parenting kann ein erster Schritt sein, um trotz Konflikten nebeneinander zu funktionieren. Mit der Zeit, wenn die Emotionen etwas abflauen, kann es leichter werden, sich wieder auf das Wesentliche zu besinnen – nämlich darauf, dass es um die Kinder geht. Wenn Eltern bereit sind, Stolz und alte Verletzungen zurückzustellen, kann daraus auch wieder mehr Kooperation entstehen.

Was raten Sie Eltern, die gerade in Trennung oder Scheidung sind, um Kinder möglichst gut aufzufangen in einer solchen Krisensituation?
Das Wichtigste ist, für die Kinder da zu sein – für beide Elternteile, jedes auf seine Weise. Kinder brauchen Ehrlichkeit, aber keine Überlastung mit Erwachsenenproblemen. Sie sollen spüren: «Mama und Papa sind beide für mich da, auch wenn sie nicht mehr zusammen sind.» Wichtig ist auch, Kinder nicht als Vermittler oder Seelsorger zu benutzen und ihre Gefühle ernst zu nehmen. So erleben sie, dass sie trotz der Krise aufgefangen und geliebt sind.

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