Für den Fortbestand des Lebens ist Sex nicht nötig – das zeigen viele Lebewesen, die sich ungeschlechtlich fortpflanzen. Laut dem Biologen Manfred Milinski vom Max-Planck-Institut in Plön (D) ist Sex sogar äusserst ineffizient: «Ginge es nur um reine Zahlen, Sex wäre schon lange von der Bildfläche verschwunden oder im Laufe der Evolution gar nicht erst aufgetaucht», sagt der 61-Jährige in «Bild der Wissenschaft».
Warum machen wir es nicht wie die Wasserflöhe?
Computersimulationen hätten gezeigt, dass beim Wettstreit einer sexuellen mit einer asexuellen Art, die sexuelle nach nur zehn Generationen ausstirbt. Milinski: «Warum machen wir es nicht wie die Wasserflöhe im Sommer und vermehren uns asexuell?»
Warum also Sex? Nach Jahrzehnten des Streitens und Rätselns haben sich die Evolutionsforscher nun auf eine Antwort geeinigt. Sie heisst «Rote Königin-Hypothese» und erklärt die Sexualität des Menschen sowie der meisten anderen höheren Lebewesen mit der Bedrohung durch Bakterien und anderer sich rasch vermehrender Krankheitserreger.
«Männer sind nichts weiter als eine Wurmkur»
Damit wir ein wirkungsvolles Immunsystem gegen diese wandlungsfähigen Feinde entwickeln können, muss Sex sein!
«Männer sind also nichts weiter als eine biologische Krankenversicherung – oder beschämender noch, eine evolutionäre Wurmkur», fasst Michael Miersch diese Erkenntnis im Bild der Wissenschaft zusammen. Fast alle Lebewesen sind einem permanenten Druck durch Parasiten ausgesetzt. Viren und Bakterien, Pilze und Würmer wollen uns besiedeln und von unseren Ressourcen leben. Doch der Körper wehrt sich dagegen.
Wir wechseln das Passwort
Damit ein Bakterium eindringen kann, muss es an gewisse Strukturen der Zelloberfläche andocken können.
Oder wie Matthias Plüss im «Magazin» schreibt: «Das Bakterium muss das Passwort kennen. Parasiten können sich rascher fortpflanzen als ihre Wirte. Manche Bakterien haben eine Generationsdauer von gerade mal zwanzig Minuten – Menschen brauchen 25 Jahre. Deshalb können sich Bakterien viel schneller verändern und mit der Zeit knacken immer mehr von ihnen das Passwort. Wenn wir nun Sex haben, werden unsere Gene vermischt und durcheinandergewirbelt – die Bakterien müssen von vorne beginnen. Sex zu haben bedeutet sinngemäss, sein Passwort zu ändern.»
Der Fadenwurm hats bewiesen
Bewiesen wurde die «Rote-Königin-Hypothese» im Sommer dieses Jahres von US-Forscher Levi T. Morran von der Indiana University in Bloomington. Morran gelang der Durchbruch mit einer Experimenten-Serie mit einem zwittrigen Fadenwurm und dessen Parasit. Dazu manipulierte der Forscher die Fortpflanzungsweise des Fadenwurms «C. elegans» so, dass dieser mal sexuell, mal selbstbefruchtend und mal als eine Mischung aus beidem funktionierte. Der Parasit des Fadenwurms, das Bakterium «Serratia marcescens», durfte sich in einem Teil der Versuche mit seinem Wirt mit entwickeln, in einem anderen Teil wurde er an weiteren Evolutionsschritten gehindert. Das Ergebnis war eindeutig: Die selbstbefruchtende Population des Fadenwurms wurde von den Bakterien, die sich entwickeln durften, schnell zum Aussterben gebracht. Die sexuelle Wurmpopulation hingegen hielt mit den Parasiten Schritt.
Ohne Parasiten – kein Sex
Interessantes Detail: Wurden die Parasiten an ihrer Entwicklung gehindert, setzte sich bei den Fadenwürmern die Selbstbefruchtung durch: Die Sexualität ging verloren, weil sie – aufgrund der schwachen Parasitenlage – nicht gebraucht wurde.