Tierkolumne von Simon Jäggi
Ein Storch allein macht noch keinen Sommer

In den Skiferien in Mürren entdeckte unser Kolumnist plötzlich einen Weissstorch. Berner Oberland statt Afrika – wie kommt das?
Publiziert: 14.02.2019 um 23:07 Uhr
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Aktualisiert: 15.02.2019 um 20:07 Uhr
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Simon Jäggi

Der Storch bringt die Kinder, das beweisen die Statistiken. In Regionen, in denen es mehr Störche gibt, ist die Geburtenrate höher. Die Zahlen stimmen zwar, aber daraus einen Zusammenhang herzustellen, ist natürlich Unfug. Im Web findet sich eine Reihe solcher witziger Scheinkorrelationen – zum Beispiel, dass sich die Anzahl der Filme, in denen Nicolas Cage spielt, mit der Zahl der Menschen deckt, die in Swimmingpools fallen und ertrinken.

Das Beispiel Schweiz räumt aber endgültig auf mit dem Märchen, dass der Storch für die Lieferung der Säuglinge zuständig ist: Während die Geburtenrate in der Schweiz seit den 1960er-Jahren bis zur Jahrtausendwende gesunken ist, ist die Zahl der brütenden Störche am Steigen. Den Grundstein gelegt hat das Wiederansiedlungsprojekt des Storchenvaters Max Bloesch. Nachdem der Weissstorch 1950 in der Schweiz als ausgestorben galt, zählt die Vogelwarte inzwischen wieder über 250 Brutpaare.

In die Berge verirrt

Letzte Woche hatte ich ein wundersames Storchen-Erlebnis. In den Skiferien in Mürren BE schaute ich am Morgen aus dem Fenster und traute meinen Augen nicht: Ein Weissstorch sass auf dem Mast einer Sesselbahn (Blick berichtete). Offenbar handelte es sich dabei um einen Vogel, der die Reise in den Süden nicht angetreten hatte. Wahrscheinlich hat sich Meister Adebar auf Nahrungssuche begeben, weil das Mittelland von Schnee bedeckt war – und sich dabei in die Berge verirrt.

Diese Nichtzieher gehen oftmals auf das Wiederansiedlungsprojekt zurück, offenbar scheuen aber immer mehr Störche die lange Reise nach Afrika. Entweder verbringen sie den Winter auf Müllhalden in Südspanien – oder sie bleiben gleich im Norden.

Wer glaubt noch an den Storch?

Anders als bei manchen Singvögeln wird das Zugverhalten nicht genetisch vererbt – Störche scheinen von ihren Eltern zu lernen. Dadurch können sie sich auch leichter neuen Gegebenheiten durch den Klimawandel anpassen. Arten, die den Fahrplan für ihre Reise in den Süden in den Genen mitgeliefert erhalten, zeigen sich weniger anpassungsfähig.

Ein Storch in Mürren, das kann also auch ein Zeichen des Klimawandels sein. Eine Scheinkorrelation? Wahrscheinlich nur noch für FIS-Präsident Gian Franco Kasper. Aber wer den Klimawandel leugnet, kann geradeso gut noch an den Storch glauben.

Simon Jäggi (38) ist Sänger der Rockband Kummerbuben, arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern und hält Hühner. Wissenschaftlicher Rat: Dr. Manuel Schweizer. Jäggi schreibt jeden zweiten Freitag im BLICK.

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