Eine Stunde dauert die Fahrt in den Busch, und der Ranger Eriqueto Nhamayao bewegt sich in dieser Zeit kaum. Ruhig und scheu zeigt der junge Mann zarte Zuneigung zu einem der wertvollsten Tiere seines Landes: In seinem Schoss schläft ein Schuppentier.
Die holprige Fahrt durch die Steppe Mosambiks scheint das normalerweise nachtaktive Tier nicht zu stören, ebenso wenig wie das laute Klicken, wenn Nhamayaos Kollege die Schutzwaffe lädt. Das Schuppentier ist ein gefährdeter Pangolin, und die Ranger sind auf einer Rettungsmission. Kurz darauf wecken sie das Jungtier: Essenszeit.
Kaum jemand kennt ihn, und doch ist er laut der Weltnaturschutzunion IUCN das meistgewilderte Säugetier der Welt: der Pangolin, der gepanzerte Doppelgänger des Ameisenbären. Zwischen Januar und August 2019 wurden über 110'000 Schuppentiere in Afrika und Asien beschlagnahmt. Ihr Wert: mehr als 100 Millionen Dollar. Während das Buschfleisch in Afrika verzehrt wird, landen die meisten Pangoline in China und Vietnam.
Die Schuppen werden in der traditionellen Medizin verwendet, um Müttern mit Stillschwierigkeiten zu helfen und Krankheiten zu heilen, die von Asthma bis hin zu Krebs reichen. Es ist jedoch unklar, wie die Schuppen, die aus dem gleichen Material wie menschliche Fingernägel und Haare bestehen, medizinischen Nutzen bringen könnten. Weil die Tiere in Asien immer seltener werden, hat sich die Wilderei nach Afrika verlagert.
Wegen der unersättlichen Nachfrage sind nun alle acht Arten vom Aussterben bedroht. Wie viele Exemplare es noch gibt, ist unklar, denn die Tiere sind extrem scheu und schwierig zu erforschen.
Schmuggel und Wilderei
Auch im Gorongosa-Nationalpark in Mosambik ist der Pangolin in Bedrängnis: Ein ganzer Pangolin kann für den niedrigen Preis von nur 280 Franken verkauft werden, aber im zweitärmsten Land der Welt ist das ein durchaus verlockendes Geschäft. Seit Jahren werden hier Pangoline gewildert – begünstigt haben dies die Nachwirkungen des jahrzehntelangen Bürgerkriegs und die anhaltende politische Instabilität.
Im Jahr 2008 unterzeichneten die Regierung von Mosambik und die Carr Foundation, eine gemeinnützige Organisation in den USA, eine Partnerschaft für die gemeinsame Wiederherstellung und Verwaltung des Parks. Heute patrouilliert ein engagiertes Team von 260 Männern und Frauen täglich auf über 12'000 Quadratkilometern.
Der Pangolin ist aber erst seit 2019 explizit im Fokus der Wildtierschützer und Ranger, die hier arbeiten und ausserhalb des Parks nach illegal gefangenen Tieren suchen. Die Wilderei hat in den letzten Jahren ein neues Ausmass erreicht, wie Paola Bouley, Gorongosas stellvertretende Naturschutzdirektorin, sagt. «Der Pangolin ist so scheu, und in Afrika wusste man nicht viel über das Tier, bevor die Wilderei vor einigen Jahren begann», so Bouley.
Allein an nur einem Grenzposten wurden letztes Jahr 110 Fälle von Schmuggel verzeichnet. Es ist unklar, wie viele Individuen sich im Land befinden, aber schon 27 Tiere wurden dieses Jahr vor Wilderern gerettet und nach Gorongosa zur Rehabilitation gebracht. Eines davon ist Boogli.
Tägliche Fütterungsfahrten
Der Pangolin hatte Glück. Im Februar 2019 erhielten die Gorongosa-Parkranger einen Tipp: Ein Wilderer habe das 2,4 Kilogramm schwere Jungtier illegal gefangen und halte es in der Nähe der Grenze zu Simbabwe gefangen. Die Ranger rückten aus und brachten das Weibchen in das Camp des Parks. Boogli kam ausgehungert und verängstigt in Gorongosa an und verweigerte während der ersten Tage jegliche Nahrung. Sie legte anfangs den Kopf in Richtung Bauch und rollte sich zu einem engen Ball zusammen, was für dieses scheue Tier nicht ungewöhnlich ist, wenn es sich bedroht fühlt. Seitdem wird Boogli intensiv in einem sicheren Schutzraum von der Wildtierärztin Mercia Angela betreut, gewogen und überwacht.
Schon seit sechs Monaten fährt sie zusammen mit Eriqueto Nhamayao sowie zwei weiteren Rangern täglich mit dem jungen Schuppentier eine Stunde in die Wildnis, um es zu füttern. Die drei in Tarnfarbe uniformierten Ranger schlagen rund drei Stunden lang die Hacken in verhärtete Ameisenhaufen und setzen das Tier dann sanft vor den frisch ausgegrabenen Ameisenkolonien ab. Ihr ruhiges Auftreten und die geduldige Achtsamkeit sind ein Beleg für die enge Beziehung zwischen den Mitarbeitern des Parks und den dort lebenden Tieren.
Mittlerweile verschlingt Boogli täglich bis zu 400 Gramm Ameisen und wiegt bereits 5,5 Kilo. Im Erwachsenenalter wird sich ihr Gewicht sogar verdoppeln. Weil der Park keine Zäune hat und potenziellen Wilderern zugänglich ist, kann Boogli noch nicht allein gelassen werden. Die in Mosambik vorkommende Pangolin-Art ist bodenlebend und wie alle anderen nachtaktiv, was sie besonders anfällig für Wilderer macht, die nah an Ameisenhügeln im Hinterhalt warten können. Einem Wilderer tagsüber zu begegnen, ist unwahrscheinlich, bewaffnet sind die Ranger trotzdem.
Trotz der Gefahren soll Boogli wieder ausgewildert werden, sobald sie sich selbst ernähren kann. Wo sie ausgesetzt wird, ist geheim – man will keine Wilderer auf den Plan rufen. Diesmal wird man sie mit einem GPS-Sender ausstatten. «Falls wir sehen, dass sie dorthin zurückkehrt, wo sie von Wilderern gefangen wurde, können wir sie aufsammeln und an einen anderen, sicheren Ort bringen», sagt Angela. Ein Leben in freier Wildbahn ist für Boogli ein Leben undercover.
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