What People Do for Money: Der Titel der Manifesta 11, die den Sommer über das Kulturleben in Zürich bestimmen wird, soll provokativ wirken. Er dränge sich geradezu auf in der reichen Schweizer Hauptstadt des Geldes und der Banken, gaben Manifesta-Erfinderin Hedwig Fijen (55) und ihr Künstler-Kurator Christian Jankowski (48) zu verstehen. So viel Gemeinplatz muss sein.
Herzstück der Manifesta sind sogenannte Joint Ventures – ein in der Wirtschaft geläufiger Begriff. Hier sind es 30 Künstlerinnen und Künstler aus aller Welt, die mit einheimischen Gastgebern, sogenannten Hosts, gemeinsame Projekte realisieren. Unter den Künstlern sind bekannte Namen wie der italienische Skulptursatiriker Maurizio Cattelan (55), der mit der national berühmten Paralympic-Sportlerin Edith Wolf-Hunkeler (43) arbeitet, die mexikanische Schockperformerin Teresa Margolles (53), die sich mit einem transsexuellen Sexworker zusammentat, und der französische Skandalschriftsteller Michel Houellebecq (60), der mit einem Arzt seinen Körper zu Kunst macht.
80 Tonnen Klärschlamm für die Kunsthalle
Das SonntagsBlick Magazin hat fünf Künstler-Host-Paaren bei der Arbeit über die Schulter geschaut. Zu sehen sind träumerische Projekte – wie das der einzigen Schweizer Künstlerin, Una Szeemann (41), die mit zwei Psychologen eine erlebte Vision mit Hypnose verdinglichen will. Und es gibt Lustvolles, wie die Idee des Amerikaners John Arnold (41), der mit dem Sternekoch Fabian Spiquel (33) und dem Libanon-Imbiss-Betreiber Kemal Omran (38) historische Staatsbankette in der Schweiz nachkocht und Teile davon den Sommer über den Gästen in Kemal Omrans Imbissbude Yalla Habibi und ein paar weiteren Lokalen serviert. Die beiden Köche sind begeistert, die Tischgenossen bei einem Probeessen auch – Künstler Arnold ebenfalls.
Nicht bei allen Gastgebern ist die anfängliche Skepsis indes vollständig verschwunden. Philipp Sigg vom Klärwerk Werdhölzli ist ein inneres Kopfschütteln anzusehen, auch wenn er sich ehrlich Mühe gibt, seinen Künstler zu verstehen. Mike Bouchet (46), Amerikaner mit deutschem Wohnsitz, presst aus 80 Tonnen Klärschlamm der Stadt Zürich, der Produktion von einem Monat, grosse Quader für seine Ausstellung in der Kunsthalle. Ihn interessiere, was bleibe, erklärt der Künstler, der nicht weiss, dass die sogenannte Zürcher Klärschlamm-Affäre in den 1990er-Jahren einer der grössten Korruptionsskandale der Schweiz war.
Eine historisch-politische Anspielung ist also ausgeschlossen. Ebenso eine ökologische. Es gehe ihm nicht darum, zu zeigen, wie viel Mist die Zürcherinnen und Zürcher produzieren. Worum denn? Er habe die Gelegenheit genutzt, mit einem Material zu arbeiten, das er nur in diesem Kontext erhalte, sagt Bouchet. Klärschlamm ist giftiger Sondermüll, den die Stadt normalerweise schnellstmöglich entsorgt. Eine Ausnahmegenehmigung zum Spielen mit Klärschlamm gab sie nur, weil ihr viel an der Manifesta liegt.
Ein Ratgeber für weiblichen Orgasmus
Ingenieur Philipp Sigg zeigt für den technischen Aspekt Interesse und Respekt. Wie der Künstler den gepressten Schlamm haltbar und fast geruchtsneutral machen will. Obs gelingt? Irgendwie hat man das Gefühl, kann es Sigg doch nicht recht fassen, warum dieser Bouchet aus Scheisse Kunst macht. Er ist, so wirkts, froh, wenn der Künstler bald wieder weg ist.
Anders Sexualtherapeutin Dania Schiftan, die mit der ungarischen Künstlerin Andrea Györi (33) ein Projekt zum weiblichen Orgasmus macht. «Andrea ist neugierig und ergebnisoffen», sagt sie, «als ihr technischer und anatomischer Consultant sage ich, ob das, was sie macht, so sein kann.» Das heisst: Andrea Györi zeichnet Frauen beim Masturbieren, Dania Schiftan sagt, ob die Zeichnungen stimmig sind, das zeigen, was auch sein kann, nicht zu viel und nicht zu wenig. «Ich lerne viel», sagt Györi. «Es macht Spass», sagt Schiftan. Die Zusammenarbeit soll sogar einen praktischen Nutzen haben: Aus Györis Zeichnungen und Schiftans Erklärungen soll eine Art Ratgeber entstehen, wie Frau zum Orgasmus kommt.
Spass hat auch der mehrfache Thai-Box-Weltmeister Azem Mak-sutaj (40), der seinen Kampfsport-Boxkeller in Winterthur dem Tschechen Matyas Chochola (30) geöffnet hat. Mit Kunst an sich hatte der durchtrainierte Hüne zuvor nichts am Hut, weiss aber: «Was wir hier machen, heisst ja Kampfkunst.» Jetzt, so scheint es, glaubt er, den tieferen Sinn dieser Bezeichnung verstanden zu haben.
Kampfsportler verhindert Kunstverbrennung
Der Künstler hat mit den Gym-Besuchern eine Art Kraftbilder gemacht, die in einem Ritual im Wald hätten verbrannt werden sollen – was der Chef der Kampfkünstler erfolgreich zu verhindern wusste. «Wäre doch schade gewesen», sagt er – und der Künstler, der selber auch Kampfsport trainiert, schluckte die Einmischung. «Es ist ein Werk im Fluss.»
Inwiefern diese Projekte Antworten auf die Titelfrage geben sollen, bleibt auch nach dem Besuch der Künstler-Host-Paaren nebulös. Eine Antwort zu finden, ist vielleicht gar nicht intendiert. Wir alle wissen: Für Geld tut der Mensch alles. «Das Begehren nach Geld ist grenzenlos. Es wird nur durch das Begehren nach noch mehr Geld überboten», sagt der scharfzüngige Soziologe Klaus Kraemer.
Vielleicht sollte man nun eher fragen: Was ist Kunst? Hier halten wir es mit dem österreichischen Spötter und Essayisten Robert Menasse (61): Der Künstler habe die Möglichkeit, seinen Müssiggang als Teil seiner Arbeit auszustellen. Dafür gibts von der Manifesta Geld – 73'000 Franken durchschnittlich. Die Projekte sind also das, was man für diesen Betrag erhält. Oder umgekehrt: Das tun die Künstlerinnen und Künstler für diesen Betrag. Insofern ist die Titelfrage doch beantwortet.