Männer-Experte erklärt die Welt der Incel
Frauenhasser sind eine Zeitbombe

Toronto-Amokfahrer Alex Minassian (25) ist ein sexuell frustrierter Frauenhasser.
Publiziert: 26.04.2018 um 00:08 Uhr
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Aktualisiert: 12.09.2018 um 19:45 Uhr
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Hier liegt eines der Opfer von Frauenhasser Minassian, der am Montag 6 Menschen getötet und 14 verletzt hat.
Foto: Aaron Vincent Elkaim
Christian Maurer und Elisabeth Zirk

Der Amokfahrer von Toronto ist ein sexuell frustrierter Frauenhasser. «Der Incel-Aufstand hat begonnen», schrieb Alek Minassian (25) in seinem letzten Facebook-Post, kurz bevor er mit einem Lieferwagen 10 Menschen zu Tode fuhr und 14 Personen verletzte. Incel steht für «involuntary celibate», zu Deutsch: «unfreiwilliges Zölibat».

Als Incel bezeichnen sich Männer, die gerne Sex hätten, aber keine Sexpartnerin finden. Und sie geben den Frauen die Schuld, weil diese sie angeblich zurückweisen. «Die Incels bedienen sich eines einfachen Erklärungsmusters: Wir sind unattraktiv und Frauen oberflächlich, deshalb haben wir keine Chance», sagt Markus Theunert (45), Leiter des Schweizerischen Instituts für Männer- und Geschlechterfragen, der Fachstelle des Dachverbands Männer.ch.

«Sich selbst erfüllende Prophezeiung»

Das sei kritisch zu hinterfragen. «Finden sie keine Sexualpartnerinnen, weil sie unattraktiv sind, oder eher, weil sie frustriert oder gar verbittert sind?», erklärt Theunert. Wenn man genug daran glaube, dass man keine Frau bekommt, werde sich das mit grosser Wahrscheinlichkeit erfüllen. In der Psychologie heisst dieser Teufelskreis «sich selbst erfüllende Prophezeiung».

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Alek Minassian (25) hat in Toronto 10 Menschen getötet.
Foto: Linkedin

Auch Student Elliot Rodger (†22), den der Toronto-Amokfahrer Minassian in seinem Facebook-Post als Vorbild feiert, war ein Incel. Er hatte auf einer Amokfahrt vor vier Jahren in Kalifornien 6 Menschen getötet und 13 verletzt. In einem Video jammerte er vorher, er sei noch Jungfrau und kündigte an, sich deshalb an den Frauen zu rächen und möglichst viele zu töten.

Hasstiraden gegen Frauen und Männer, die Sex haben

In Online-Foren wie incel.me tauschen sich sexuell frustrierte Männer aus. Mit Hasstiraden gegen Frauen, aber auch gegen Männer, die Sex haben. Den Toronto-Killer feiern sie als Helden – «ich verurteile Alex Minassian nicht dafür, was er tat», ist noch ein zurückhaltender Kommentar.

«Mit dem Internet vernetzen sich diese Männer und scheinen sich nicht mehr gegenseitig zu stärken und zu unterstützen, sondern vielmehr in ihrer Wut zu befeuern», sagt Theunert. Das Problem der Incels sei nur vordergründig die Sexlosigkeit. «Es vermischen sich sexuelle Frustration mit Antifeminismus, Ohnmacht, Isolation und Perspektivenlosigkeit», erklärt Theunert. «Sie fühlen sich betrogen. Das Versprechen des Kapitalismus, Leistung lohnt sich, stimmt für sie auf dem Beziehungsmarkt nicht.» 

Auch in der Schweiz gibt es viele Emanzipationsverlierer

Immer mehr Männer jeglichen Alters, auch in der Schweiz, sähen sich als Emanzipationsverlierer – «und sie sind es zuweilen auch», sagt Theunert. Der Männer-Experte hält das für eine gefährliche Entwicklung. Zwar werde nicht jeder Beziehungsverlierer zu einem Amok-Killer. Aber: «Es ist für den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährlich, wenn sich immer mehr Männer zurückziehen, abkapseln, jede Chance auf Teilhabe an einem normalen Beziehungs-, Sexual- und Familienleben aufgeben. Da tickt eine Zeitbombe.»

Damit sie nicht explodiert, müsse man die Incels identifizieren und unterstützen. «Dafür braucht es qualifizierte Buben- und Männerarbeit. Leider ist die Schweiz in diesem Bereich extrem im Rückstand», sagt Theunert.

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