Kinderlose Katzenladys, komische Käuze
Sind Langzeitsingles Versager, Frau Rissi?

US-Vize J. D. Vance nannte Singlefrauen «kinderlose Katzenladys». Auch wer als Mann längere Zeit single ist, gilt als komisch und schlecht vermittelbar. Und unglücklich. Psychologin Martina Rissi hält dagegen und sagt: «Einsamkeit ist kein Beziehungsstatus.»
Publiziert: 13:46 Uhr
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Aktualisiert: vor 2 Minuten
Langzeitsingles haben den Ruf, dass sie irgendwann mit 20 Haustieren unter einem Dach leben.
Foto: Shutterstock

Darum gehts

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Maja ZivadinovicFreie Journalistin Service-Team

Laut Umfragen ist ein Drittel der Schweizerinnen und Schweizer Single. Die Hälfte davon seit drei Jahren und länger. In einer Welt, in der Dating-Apps, romantische Komödien und die Paargesellschaft den Ton angeben, wirken Langzeitsingles oft wie ein stiller Gegenentwurf. Manche wählen das Singledasein bewusst, andere stolpern hinein – und bleiben. Doch was bedeutet es, über Jahre oder gar Jahrzehnte ohne feste Partnerschaft zu leben? Welche Dynamiken stehen dahinter, und was brauchen Langzeitsingles wirklich – Verständnis, Veränderung oder einfach mehr Sichtbarkeit?

Leiden alle Singles unter Einsamkeit, Frau Rissi?
Martina Rissi:
Nein, denn Einsamkeit ist ein innerer Zustand und kein Beziehungsstatus. Dieses Gefühl kann kommen und gehen. Es gibt Singles, die in ihrer Freiheit aufblühen, während andere sich in einer Partnerschaft einsam fühlen. Ausserdem gibt es Menschen, die ihre eigene Gesellschaft schätzen, während andere diese kaum aushalten. Grundsätzlich sind Menschen aber Beziehungswesen: Wir brauchen Verbindungen. Nicht zwingend in der romantischen Form, aber mit Nähe, Resonanz und echtem Kontakt.

Worin unterscheidet es sich, ob man Anfang 20, Anfang 40 oder Anfang 60 single ist?
Mit 20 ist das Singlesein oft ein Abenteuer, mit 40 ein möglicherweise bewegender Umbruch, mit 60 vielleicht ein neuer Aufbruch. Der Druck von aussen und auch im Innern verändert sich: Mit 20 fragt niemand, warum man allein ist. Mit 40 stellt sich die Frage, ob Kinder involviert oder noch in Planung sind. Und mit 60 könnte manch einer denken, dass der Zug abgefahren ist – der Gedanke, im Alter allein zu sein, macht vielen Angst. Es ist also vor allem unser Mindset, das den Unterschied macht.

Martina Rissi ist Psychologin, Hypnosetherapeutin sowie Yoga- und Meditations-Lehrerin.
Foto: zVg

Sind Dating-Apps ein Fluch oder Segen?
Ich finde, sie sind beides. Dating-Apps sind wie ein riesiger Supermarkt voller Menschen: Toll ist, ich kann jederzeit einkaufen gehen, die Auswahl ist gross, doch nach zwei Stunden hat man immer noch Hunger, aber nichts im Korb. Apps können unfassbar schnell Verbindung schaffen. Wer jedoch ständig weiterswipt, statt sich einzulassen, bleibt oft leer zurück. Durch die vielen Möglichkeiten bleibt die Tiefe nicht selten auf der Strecke, und der Datingfrust wird immer grösser.

Wann gilt man eigentlich als Langzeitsingle?
Es gibt keine amtliche Definition. Aber meistens bezeichnet man damit Menschen, die mehrere Jahre ohne feste Partnerschaft leben. Ein Langzeitsingle ist jedoch kein Versager, manchmal wird dieser Lebensstil sehr bewusst gewählt. 

Haben es Menschen, die schon lange single sind, wirklich schwieriger, sich wieder auf jemanden einzulassen?
Oft ist das tatsächlich der Fall. Einerseits, weil sich Langzeitsingles meist ein gut funktionierendes Leben aufgebaut haben und kein «Loch» füllen müssen. Andererseits hat jemand, der lange allein war, oft sehr klare Vorstellungen von sich und vom eigenen Leben. Plötzlich Kompromisse zu finden, kann dann als schwierig empfunden werden.

Warum sind Singles gesellschaftlich nicht so akzeptiert wie Paare?
Weil in unserer Gesellschaft immer noch die romantischen Zweierbeziehung als Ideal angesehen wird. Der Satz «Ich bin single» wird oft als Mangel verstanden. 

Was raten Sie Singles, die sich nach einer Beziehung sehnen?
Nicht auf die Beziehung zu warten wie auf den Bus, sondern das Leben heute schon möglichst bunt und erfüllend zu gestalten. Je mehr man selbst in Verbindung mit sich ist, desto attraktiver wirkt man, ganz im Sinne von: Werde der Mensch, mit dem du selbst gern zusammen wärst – dann ziehst du auch jemanden an, der zu dir passt. Parallel dazu ist es sicher gut, mit potenziellen Partnern aktiv im Austausch zu sein, idealerweise im realen Leben bei Dingen, die einem Spass machen.

Wie lernt man denn heute jemanden kennen, wenn nicht online?
Überall dort, wo Menschen sind und man idealerweise nicht permanent aufs Handy schaut. Das kann beim Yoga sein, im Sprachkurs, auf einer Hängebrücke oder beim Gassigehen mit dem Hund. Wenn man offen ist, kann fast jede Alltagssituation eine Bühne für Begegnung sein: Mut schlägt Algorithmus!

Was sagen Sie zum Klischee über den Single, der irgendwann mit zehn Katzen wohnt und Selbstgespräche führt?
Selbstgespräche bedeuten einen Austausch mit einer wahren Expertin – was ist schlimm daran? Wir können es auch Selbstreflexion nennen. Ich kenne auch Ehepaare mit zwölf Zwerghasen und null Kommunikation. Aber im Ernst: Beziehungen zu Tieren können sehr erfüllend sein. Sie geben Nähe, Struktur, ein Gefühl des Gebrauchtwerdens – nicht als Partnerersatz, aber als emotionaler Anker ohne Erwartungsdruck.

Was kann man selber tun, um sich für eine neue Liebe zu öffnen?
Zuerst die alte(n) Liebe(n) wirklich loslassen. Dann lohnt es sich, sich selbst zu fragen: Bin ich bereit, das Risiko von Verletzung wieder einzugehen? Ja, dafür braucht es Mut! Aber ohne diese klare und mutige Entscheidung bleiben wir im emotionalen Sicherheitsmodus.

Feste wie Weihnachten und Hochzeiten sind besonders schwierig für Singles.
Ja, weil dort das «Wir» oft im Mittelpunkt steht und das eigene «Ich» blöderweise wie ein Fremdkörper wirkt. Diese Happenings im Vorfeld aktiv zu gestalten, lohnt sich. Das kann das Entwickeln von eigenen Ritualen sein, das Zusammenspannen mit anderen Singles, das Anpassen von Einladungen nach eigenem Gusto, wie beispielsweise später oder gar nicht teilnehmen … Hauptsache, es fühlt sich für die betroffene Person angenehmer an.

Was raten Sie frisch Getrennten, die aus einer langen Beziehung kommen und Panik vor der Zukunft als Single haben?
Diese Panik ist normal. Wenn etwas zu Ende geht, das lange Halt gegeben hat, fühlt sich die Zukunft leer und sehr beängstigend an. Deshalb erst mal: atmen. Trauern. Die Gefühle annehmen, ohne sich von ihnen verschlingen zu lassen. Und dann nicht gleich die grosse Lebensvision erwarten, sondern kleine Schritte gehen: Was brauche ich heute, damit es mir besser geht? Was habe ich früher getan, was mir Freude bereitet hat? Was oder wen habe ich vielleicht aufgegeben und könnte ich wieder aufleben lassen? Nach und nach entstehen Antworten auf die Frage: Wer bin ich jenseits des «Wir»? Das ist ein wunderbarer Prozess.

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