Es kommt regelmässig vor, dass meine Freundin (22) nach dem Sex weinen muss. Sie sagt zwar, sie wisse nicht warum und es sei alles okay, aber ich (25) habe Angst, dass sie früher mal missbraucht wurde. Sie verneint das. Aber was, wenn sie es verdrängt hat? Wie soll ich mich verhalten? Ich will nicht ihr Trauma verstärken. Pascal
Lieber Pascal
Weinen nach dem Sex ist ein ziemlich verbreitetes Phänomen. Betroffene sind oft ziemlich ratlos, warum ihnen gerade in diesem Moment die Tränen kommen. Denn während sich manche von ihnen tatsächlich schlecht fühlen, würden viele ihren Gemütszustand nicht mal als bedrückt beschreiben.
Dass Weinen nicht mit Negativem verbunden sein muss, sieht man schön beim Sport: Es wäre wohl noch niemandem in den Sinn gekommen, Roger Federer nach einem Turniersieg zu fragen, ob er früher auf dem Court missbraucht wurde, weil ihm gerade die Tränen gekommen sind. Sei also bitte vorsichtig, wenn du die Tränen deiner Freundin unbeirrbar mit einem früheren Missbrauch in Verbindung bringen willst.
Nach einem Orgasmus kommt es im Körper und im Geist zu einem Spannungsabfall. Anstrengung und Intensität lösen sich mit einem Schlag auf. Man lässt los, die Gedanken schweifen ab, und plötzlich sind sie da, die Tränen. Denn auch wenn Sex an sich schon etwas sehr Emotionales sein kann: So richtig Raum bekommen die Gefühle bei vielen Menschen erst nach dem Höhepunkt.
Es ist höchst umstritten, ob Tränen nach dem Sex mit einer Missbrauchsgeschichte in Verbindung gebracht werden sollten. Diagnostische Schnellschüsse schaden also definitiv mehr, als sie helfen.
Wenn dir deine Freundin versichert, dass sie eure Sexualität geniesst, dann darfst du das so stehen lassen. Besprecht, was ihr bei Tränen guttut. Sucht sie Nähe, gib sie ihr, lass ihr Raum, wenn sie das möchte.