Ich (65) bin in Mädchenheimen aufgewachsen. Über Buben durften wir nicht reden, sonst gab es schlimme Strafen. Mit 19 kam ich ins Leben hinaus. Vor Männern hatte ich panische Angst.
Ich durfte Krankenschwester lernen, was mich sehr glücklich machte. Dass es zweierlei Geschlechter gibt, habe ich erst im Spital gelernt.
Mit 26 lernte ich einen Mann aus dem Kirchenchor näher kennen. Er war lieb. Aber nach einem Fest hat er mich auf dem Heimweg auf einer Wiese überfallen. Ich konnte mich nicht wehren. Nach drei Wochen wusste ich, dass ich schwanger war. Bald darauf heirateten wir. Was sehr arg war: Obwohl ich Sex hasste, kam ich nicht darum herum mitzumachen, wenn er es wollte. Seit acht Jahren bin ich Witwe.
Später machte ich nach viel Alkoholgenuss einen Seitensprung mit einem Bekannten – und erlebte den Höhepunkt. Ich hatte auch ein tiefes Verlangen nach ihm und war nachher richtig entspannt. Er wurde aber ordinär, sodass ich diese Beziehung auflöste.
Nun kommt aber dieses Verlangen immer wieder, worauf ich mich selbst befriedige. Danach bin ich entspannt und zufrieden; gleichzeitig beschämt es mich. Übrigens begreift dieser Mann einfach nicht, dass ich nicht mehr mit ihm ins Bett will.
Lisbeth
Liebe Lisbeth
Ich begreife es auch nicht ganz. Warum sagst du es ihm nicht, wenn er ordinär redete oder etwas anderes machte, was dich abstösst? Da ihr in Kontakt seid und er noch immer keine Ruhe gibt, hättest du bestimmt Gelegenheit dazu.
Was auch immer es war, er tat es vermutlich im Glauben, du hättest das gern. Er spürte deine Lust und er teilte sie. Deshalb kann er es halt nicht verstehen, warum du nicht mehr willst.
Männer machen übrigens viel für eine Frau, die sie begehren! Und dieser Mann begehrt dich eindeutig. Auch er zieht dich immer noch an. Du kannst das bloss nicht zugeben, weil du dich deiner neu erwachten Lust schämst. Die manchmal so stark wird, dass du dir, trotz grösster Bedenken, selber hilfst.
Es wäre sehr schade, wenn du ihm keine zweite Chance geben würdest. Es ist nämlich ein grosses Glück, dass du einen Liebhaber fandest, der deine verschüttete Leidenschaft entdeckte und dich sexuell zu wecken vermochte.
Männer sind nicht Unholde, wie sie es euch im Heim einimpften. Und nur wenige sind Vergewaltiger, wie dein Mann einer war – und auch in der Ehe geblieben ist!
Wenn du deine Angst vor Männern nicht überwinden kannst, möchte ich dir wenigstens ans Herz legen, dass es keine Sünde ist, dich selbst zu lieben.